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Aus der Region

Wenn Mutti früh zur Arbeit geht

Kindergärten in der DDR - eine Ausstellung

Dresden - Frau Meier hat es wieder einmal eilig. Es ist schon sechs Uhr. Um halb sieben fängt der Dienst im Betrieb an; davor muß sie die kleine Jana in den Kindergarten bringen. Sie packt noch schnell ein paar Stullen in die Brottasche und schon geht es los - wie jeden Werktag. Jana reibt sich auf dem Weg die Augen; sie ist noch viel zu müde. Doch schon zeigt sich das bunt beschriebene Schild - Kindergarten: "Bummi" - einer der insgesamt 13 113 staatlichen Kindergärten der DDR

So ähnlich könnte ein ganz normaler Morgen in einer Stadt in den 70-ger oder 80-ger Jahren ausgesehen haben. Denn für nahezu alle in der DDR lebenden Mädchen und Jungen zwischen drei und sechs Jahren gab es einen kostenlosen Kindergartenplatz. Damit sollten die berufstätigen Mütter entlastet werden, um der sozialistischen Vorstellung von Gleichberechtigung zu entsprechen

"Für die meisten Frauen war die Berufstätigkeit normaler Alltag und für die Kinder war der Besuch des Kindergartens selbstverständlich", erinnert sich Dr. Hans Geisler, Sächsischer Staatsminister für Soziales und Gesundheit und Familie. Er eröffnete zusammen mit der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Claudia Nolte, am 3. Juli im Dresdner Hygiene-Museum die Ausstellung "Wenn Mutti früh zur Arbeit geht...". Der Titel dieser Ausstellung charakterisiert treffend den Kindergarten der DDR, da dieses Lied fast überall mit unterschiedlichem Text gesungen wurde

Mit rund 300 historischen Objekten und Fotos veranschaulicht die Exposition die vom DDR-Staat geforderte "Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit". Dabei spielte der streng geregelte Tagesablauf, der oft schon um 6. 30 Uhr begann und die sogenannten Beschäftigungsstunden eine wichtige Rolle

In diesen ein bis zwei Beschäftigungen pro Tag, die nach Alter festgelegt waren, bekam jedes Kind ein bestimmtes Wissen über festgelegte Themen vermittelt. Werkzeug dafür waren die Bildermappen, die Themen, wie "Werktätige am Arbeitsplatz", "Führende Persönlichkeiten der DDR" und "Aus dem Leben unserer Soldaten" aufgriffen. Die Kinder lernten dadurch beispielsweise, daß Soldaten der Nationalen Volksarmee stark, klug, mutig und geschickt waren - und den Auftrag hatten, das sozialistische Vaterland zu schützen

Außer diesen Mappen wurden auch Kinderbücher und Spiele empfohlen: neben Pitiplatsch-Handpuppen, "Mensch-ärgere-dich-nicht", Suralin- Knetmasse gab es auch Militärspielzeug in allen möglichen Varianten. Bestellen konnten die Kindergärtnerinnen sowohl die Ausstattung als auch die Einrichtungen der Gruppenräume aus einem Katalog bei einer zentralen Stelle in Leipzig, die alle 13 113 Kindergärten belieferte. Billig war zwar alles, dennoch mußte man schon weit im voraus planen, da die Lieferzeiten eine kleine Ewigkeit dauerten

Als Einrichtung des Bildungswesens war der Kindergarten dem Ministerium für Volksbildung unterstellt, das das Leben bis ins Kleinste regelte. Ziele, Inhalte und Methoden der Erziehung waren gesetzlich geregelt - also den Erzieherinnen vorgegeben. So mußten die Kindergärtnerinnen täglich ein Protokoll über den Tagesablauf erstellen

Doch in Wirklichkeit faßten nicht alle Kindergärtnerinnen diesen Auftrag so streng auf: Viele sahen die individuellen Bedürfnisse der Kinder als vorrangig an. Es gab aber auch Erzieherinnen, die sich am Leitbild der sozialistischen Persönlichkeit orientierten und dabei weniger die spezielle Gruppe sahen, als die von außen vorgegebenen Leitlinien

Große Freiräume hatten dagegen die Kindergärtnerinnen der insgesamt 417 konfessionellen Einrichtungen. Zwar wollte der Staat mit allem Mitteln verhindern, daß die Kirchen auf Bildung und Erziehung junger Leute Einfluß nahm, dennoch mußten die pädagogischen Pläne und Programme des Staates in den kirchlichen Kindergärten nicht angewendet werden. Im Gegenzug gab es weder finanzielle Unterstützung noch eine staatliche Anerkennung der konfessionellen Ausbildung zur Kindergärtnerin, die sehr streng getrennt wurde von der staatlichen. Neben persönlichen Nachteilen, verdiente eine Erzieherin an dieser Kindereinrichtung auch ungefähr ein Drittel weniger als ihre "Kollegin" an der staatlichen Einrichtung, konnte aber pädagogisch freier arbeiten

Aus diesem Grund wollten viele - auch nicht christliche Eltern - ihre Kinder an einen der 142 katholischen und 275 evangelischen Kindergärten schicken und nahmen sogar die dafür zu zahlenden Kosten in Kauf. Viele konfessionelle Kindergärten mußten sogar Wartelisten anfertigen. Grund dafür war der gute Ruf, der auch von Lehrern bestätigt wurde. "Kinder aus konfessionellen Kindergärten bringen gute und sehr gute Voraussetzungen für den Schulalltag mit, da sie in vielerlei Weise in ihrer Kreativität gefördert wurden", hieß es häufig

Der einzige Nachteil für diese Kinder: sie konnten bei der Einschulung nicht "Kleine weiße Friedenstaube" mitsingen. Denn sie hatten dieses Lied im Gegensatz zu ihren neuen Klassenkameraden im Kindergarten nicht gelernt

Die Ausstellung, die als Ergänzung der in den alten Bundesländern gelaufenen Ausstellung "150 Jahre Kindergarten in Deutschland" konzipiert wurde, ist noch bis zum 28. September im Dresdner Hygiene-Museum zu sehen. Danach geht sie auf Wanderschaft durch Deutschland. Öffnungszeiten: dienstags, donnerstags und freitags von 9 bis 17 Uhr, mittwochs von 9 bis 20.30 sowie samstags und sonntags von 10 bis 17 Uhr. Katharina Funke

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 33 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 17.08.1997

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