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Bistum Erfurt

Lebensmut trotz Tiefschlägen

Eine Seelsorgerin erzählt

Erfurt - Der Blick des Betrachters bleibt sofort an ihrem Gesicht hängen. Rosemarie Steinberg ist eine lebenslustige und optimistische Frau und fesselt jeden mit ihrem Lachen, das offen und ansteckend ist. Sie hat viel durchgemacht, dennoch zeigt sich das nicht in einem verbitterten Gesichtsausdruck oder in tiefen Falten

Wenn die 60jährige Besuch im Erfurter Pflegeheim "St. Elisabeth" bekommt, benötigt sie viel Anstrengung, um diesem überhaupt die Tür zu öffnen. Denn sie sitzt im Rollstuhl - Folge eines Schlaganfalls vor fünf Jahren, bei dem sie linksseitig gelähmt wurde. Doch sie hat nicht aufgegeben und geübt, so daß sie heute den Rollstuhl fest im Griff hat und sich einiges zutraut. "Klar bin ich nach dem Schlaganfall in ein tiefes Loch gefallen", sagt sie. Doch ihre natürliche positive Veranlagung und der Zuspruch von Freunden haben ihr wieder Mut gemacht und Kraft gegeben

Wenn man ihre Situation kennt, ist Rosemarie Steinbergs Lebenseinstellung umso erstaunlicher. "Ich plane mein Leben nicht, sondern versuche es so zu akzeptieren, wie es kommt", beschreibt sie ihre Auffassung. Viele Menschen möchten ihr Leben bis ins kleinste planen: Schule, Beruf, Anzahl der Kinder, bis hin zur Gesundheit und zur Todesstunde... Sie ist der Meinung, daß dies nur zu einem kleinen Teil möglich ist: "Das meiste im Leben wird geschenkt, angeboten oder auch auferlegt. Natürlich nicht von einem blinden Schicksal, sondern von Gott", davon ist sie überzeugt

Das beweist auch ihre Lebensgeschichte: Geboren im ostpreußischen Seeburg und aufgewachsen in einer sehr armen Familie, die trotz des wenigen Geldes ihre sechs Kinder als Geschenk annahm. Von drei Jungen und drei Mädchen war sie das sechste Kind. Im Krieg verlor sie drei Geschwister und den Vater, und nach der Vertreibung aus ihrer Heimat wurde sie mit 15 Jahren Vollweise. Mit ihrer Kindheit verbindet Rosemarie Steinberg die Masurischen Seen. "Ich konnte eher schwimmen als laufen", lacht sie. Doch dahinter verbirgt sich etwas Wehmütiges. Heute ist dieses Vergnügen, das sie sich bis ins Alter bewahrt hatte, nicht mehr möglich. Für sie ist das "das Allerschlimmste"

Durch die Vertreibung wurde Thüringen ihre zweite Heimat. Hier lernte sie in einer Erfurter Pfarrgemeinde ihre spätere Pflegemutter kennen. Ich war die vierte, die in dieser schwierigen Zeit zu ihr kommen konnte. "Die große Liebe meiner Pflegemutter, die sie an uns weitergab, hat mich sehr geprägt.

Als 15jährige begann sie mit einer Ausbildung als Dekorateurin, entschied sich jedoch mit 17 Jahren für den Beruf der Seelsorgehelferin, den sie im jetzigen Erfurter Ursulinenkloster erlernte. Als sie dann vier Jahre später die Ausbildung beendet hatte, schickte sie der Bischof während der nächsten 31 Jahre in die verschiedensten Gemeinden: kleine und kleinste Diasporagemeinden, aber auch größere, rein katholische

Ihr "Zigeunerleben" - wie sie es bezeichnet - beginnt im Eichsfeld: Stationen waren unter anderem Bad Frankenhausen, Breitenworbis und Bad Sulza. Dort war sie auch die längste Zeit: 15 Jahre. Wenn sie über ihre Arbeit als Seelsorgerin spricht, merkt man, wie sehr viel Spaß ihr diese Arbeit gemacht haben muß. Vor allem die Arbeit mit Kindern - ob es die RKW oder Vorbereitungen auf die Erstkommunion waren - vermißt sie sehr. Rosemarie Steinberg bezeichnet sich selbst als einen Typ, der von allen gebraucht wurde. Und das klingt aus ihrem Mund keineswegs eingebildet

Genau aus diesem Grund muß es auch ungeheuer schwierig gewesen sein, ihre Krankheit und die Folgen zu akzeptieren. Doch sie ist eine starke Frau und hat seitdem vieles erreicht. Hoffnung und Beharrlichkeit haben sie dahin gebracht, wo sie jetzt ist: einmal im Monat geht sie in den Behindertenkreis, in dem sich die Betroffenen austauschen, unterstützen und auch gemeinsam etwas unternehmen. "Sogar die Wallfahrt nach Lourdes habe ich mitgemacht", sagt sie und steckt stolz das Kinn vor. "Ich wollte mich auf keinen Fall selbst isolieren, denn schließlich liebe ich es, unter Menschen zu sein." Katharina Funke

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 34 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 24.08.1997

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