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Bistum Görlitz

Weihnachtsgeschenke im August

Katastrophendienst im Hochwassergebiet

Eisenhüttenstadt (dw) - "Sagen Sie den Termin bitte ab - Hochwasser!" Theo Marusiak, der Leiter der Caritas-Kreisstelle Beeskow, hat nicht mitgezählt, wie oft er diesen Satz in den letzten Wochen zu seiner Mitarbeiterin gesagt hat. Die sogenannte "Jahrhundertflut" an der Oder hat Marusiaks Arbeitsalltag jedenfalls eine Zeitlang auf den Kopf gestellt. Ende Juli wurden im Hochwassergebiet des Landkreises Oder-Spree die ersten Familien evakuiert. Die Stadt Eisenhüttenstadt, in der infolge hoher Arbeitslosigkeit 1800 Wohnungen leerstehen, hatte allen, die nicht bei Freunden oder Verwandten unterkamen, Wohnraum angeboten. Auf die Bitte, bei einer eigens eingerichteten Koordinierungsstelle für soziale Betreuung mitzuarbeiten, gab Theo Marusiak spontan grünes Licht. Der Caritasverband der Diözese Görlitz stimmte zu und stellte den Kreisstellenleiter für den Katastrophendienst ab

"Wer braucht finanzielle Soforthilfe, Wohnung und andere Unterstützung am nötigsten?" Für Marusiak und die Kollegen der Koordinierungsstelle war diese Frage mitunter nicht einfach zu beantworten. Die Gefahr bestehe stets darin, dort zu helfen, wo am lautesten geschrien werde, und nicht, wo der größte Bedarf sei, meint Marusiak. Er hat in den vergangenen Wochen viele Hausbesuche im Hochwassergebiet gemacht. Viele Menschen hätten vor allem eines gebraucht: einen Zuhörer, bei dem sie Ängste und Aufregung abladen konnten

Eine 99jährige Dame, für die sich Theo Marusiak einsetzte, wohnte im überfluteten Haus am Pumpwerk von Breeskow-Finkenherd. Bevor das Hochwasser kam, kümmerten sich Nachbarn um die Frau, die auf keinen Fall in ein Altenheim ziehen wollte. Sie kauften für sie ein und heizten ihre Wohnung. Die Flut verwirrte die Dame so, daß sie in die gereatrische Abteilung eines Krankenhauses eingeliefert wurde. Ohne die Angehörigen zu informieren, habe das Krankenhaus verfügt, die Dame in ein anderthalb Autostunden entferntes Altenheim einzuliefern. Theo Marusiak hörte davon und setzte sich dafür ein, daß die Frau in einer Pflegestation in Eisenhüttenstadt Zuflucht fand. Hier kann die 99jährige bleiben, bis ihre Wohnung saniert ist. Angehörige und Nachbarn können sie hier besser besuchen als in dem weit entfernten Altenheim. Eine andere ältere Frau traf Theo Marusiak in der Koordinierungsstelle. Die Eisenhüttenstädterin hatte bereits Weihnachtsgeschenke für ihre ganze Familie eingekauft: "Die Kinder und Enkel benötigen diese Dinge im Moment nicht. Andere brauchen sie dringender", sagte ihm die Frau und stellte die Geschenke für Flutopfer zur Verfügung. Ihre Großherzigkeit hat den Sozialarbeiter beeindruckt. Andere Spendenangebote nahm er dagegen mit gemischten Gefühlen entgegen. Eine Tiefkühlfirma bot Tiefkühlkost an, wollte aber die erforderlichen Kühltruhen nicht mit zur Verfügung stellen. Die Koordinierungsstelle prüfte die Seriösität der Angebote und wies den potentiellen Spender gegebenenfalls freundlich ab. Manche Firma habe aus der Not der Menschen noch ihren Profit schlagen wollen, ärgert sich Marusiak, und für Sektenwerber sei das Überflutungsgebiet ebenfalls ein Tummelfeld. Auch seit die Arbeit bei der Koordinierungsstelle offiziell am 6. August zu Ende ging, hat Theo Marusiak mit Hochwasser-Folgen zu tun. Die Caritas prüft und verteilt im Landkreis Oder-Spree weiterhin Lebensmittel-Spendenangebote, während sich die AWO um Möbel und Viehfutter, das DRK um Bekleidung kümmert. Mit zwei von vier Transportfahrzeugen, die ein Autoverleih zur Verfügung gestellt hat, wollen einige Caritas-Helfer bald Hilfsgüter in die polnische Partner-Sozialstation Tworkow bringen. "Auf deutscher Seite sieht es relativ gut aus", begründet Marusiak. "Im Landkreis Oder-Spree stand in 135 Haushalten Wasser in der Wohnung, in Polen waren ganze Städte betroffen." Die anderen beiden Transporter verleiht die Caritas an bedürftige Flutopfer für Möbeltransporte. Sie müssen nur den Treibstoff zahlen. Der Kreisstellenleiter hofft, daß das kurzfristig eingerichtete Caritas-Lebensmittellager auch langfristig von Nutzen sein kann. In Mecklenburg initiierte die Caritas drei sogenannte CariSatt-Läden, in denen Bedürftige günstig einkaufen können. Marusiaks Ansicht nach könnte eine solche Einrichtung bei einer Arbeitslosenrate über 20 Prozent auch in Eisenhüttenstadt sinnvoll sein

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 34 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 24.08.1997

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