Seelsorge für Heimatvertriebene
Konsistorialrat des alten Bistums Breslau
"Vergessen Sie nicht, den Menschen die Heimat zu erhalten." Diesen Rat gab Gerhard Schwingel ein Professor mit auf den Weg, als er 1949 vom Priesterseminar Eichstätt zum Pastoraljahr nach Neuzelle übergesiedelt ist
Der gebürtige Glogauer, der seiner schlesischen Heimat sehr verbunden ist, liegt die Seelsorge für Heimatvertriebene bis heute in besonderer Weise am Herzen. Wer Geistlichen Rat Schwingel in seiner kleinen Pensionärswohnung im Magdeburger St.-Adelheid-Haus besucht, fühlt sich dort geradezu nach Schlesien entführt: Gemälde und Stiche schlesischer Landschaften und Kirchen, Portraits schlesischer Persönlichkeiten - die Bücherregale sind gefüllt mit schlesischer Fachliteratur
Das repräsentative Pfarrhaus in seiner letzten Pfarrstelle Groß Ammensleben bot erheblich mehr Raum, schlesische Bücher und Kunstwerke zur Geltung zu bringen. Noch einen guten Rat hatte ein anderer Eichstätter Professor seinen jungen Hörern, die dem Ruf in die Diaspora folgten, ans Herz gelegt: "Meine Herren, für Sie gibt es ein elftes Gebot: ,Wisse, wann du zu gehen hast'." Noch rüstig genug, verließ Gerhard Schwingel 1990 siebzigjährig Groß Ammensleben mit seiner altehrwürdigen Kirche, in die der heilige Erzbischof Norbert 1129 die Benediktiner eingeführt hatte. Dankbar erzählt Schwingel heute noch, daß hier das "Ewige Licht" nie erloschen sei
Dankbar ist er vor allem dafür, stets in seine letzte Gemeinde kommen zu dürfen, um mit ihr Eucharistie zu feiern und dabei die Bitte, von der Kanzel aus zu predigen, erfüllen zu können. Vertraut ist er mit der Geschichte der St.-Annen-Wallfahrt in das siebeneinhalb Kilometer entfernte Glüsig. In den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhundertes fanden hier insbesondere Saisonarbeiter, darunter viele Polen, die unter sehr harten Bedingungen arbeiteten und lebten, für Stunden ein Stück "Heimat der Seele". Später waren es die Heimatvertriebenen, die hier in der "Sprache des Herzens" heimische Gebete sprechen und Lieder singen durften. Dazu zitiert Schwingel aus dem Brief eines Vertriebenen aus Schlesien: "Wenn wir bei der Vertreibung nicht unseren Glauben im Gepäck gehabt hätten und unsere Kirchenlieder, wir wären noch viel ärmer gewesen." Jahrzehnte danach bemerkt er enttäuscht: "Seit Jahresfrist haben wir zwar einen Magdeburger Bistumsanhang zum Gotteslob. Aber wären wir Vertriebenen bei der Zusammenstellung, zumal wir in unserer Gesamtheit zahlenmäßig stärker sind als die Stammgemeinden, doch auch einmal nach unseren Wünschen befragt worden!" Gerhard Schwingel gehört seit der Wende zu den elf Priestern aus ganz Deutschland, die als Konsistorialräte den Apostolischen Visitator für Priester und Gläubige aus dem Erzbistum Breslau, Prälat Winfried König, unterstützen. Zweimal im Jahr tritt das Konsistorium zusammen und berät über unterschiedlichste Fragen, die für schlesische Katholiken von Interesse sind: angefangen von Schlesierwallfahrten bis hin zu Jubiläen wie dem bevorstehenden 25jährigen Bestehen der Apostolischen Visitatur
Die Konsistorialräte verstehen sich als Vertreter des ehemaligen Bistums Breslau. Sie stehen im Rang von Domkapitularen. Bei besonderen Gelegenheiten tragen sie eine violette Mozetta und ein Brustkreuz an schwarz-seidenem Moiréband mit goldenem Rand. Bei großen deutschen Wallfahrten nach Schlesien halten Konsistorialräte in der Regel die Gottesdienste
Nach der Hochwasserkatastrophe fühlt sich Schwingel, der an der Oder aufgewachsen ist, besonders zur Hilfeleistung in den Bistümern jenseits von Oder und Neiße verpflichtet
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 31.08.1997