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Aus der Region

220 Kilometer nah bei Christus sein

Wallfahrt von Magdeburg zum Klüschen Hagis

Rund 220 Kilometer in neun Tagen - das war die Fußwallfahrt 1997. Betend, meditierend, singend und mit vielen Gesprächen führte sie die Wallfahrer durch glutheiße, ernteschwere Weizenfelder, über schattige, einsame Waldwege des Harzes, des Huy und der Hainleite, durch Dörfer und Städte zwischen Magdeburg und dem Klüschen Hagis im Eichsfeld. Und als am letzten Tag das Lied "Ich will einziehn in sein Tor mit dem Herzen voller Dank" erklang, spiegelte das die innerer Verfassung der 75 Wallfahrer wieder

Und dann am Klüschen etwas noch nie dagewesenes: Der Student Frank Ohm, der zur Zeit seinen Wehrdienst leistet und schon lange auf der Suche nach Gott ist, wird während der katholischen heiligen Messe von einem evangelischen Pastor getauft und in die evangelische Kirche aufgenommen. "Wenn Menschen in Bewegung kommen, kommen auch Herzen in Bewegung, kann Reifen auf dem Weg geschehen", sagte Pastor Manfred Gerland. "Mag uns auch manches trennen, aber es gibt nur eine Taufe!

Für die, die Hitze und Durst, Stunden des Schweigens, Gespräche mit Tiefgang und beeindruckende Begegnungen am Wege erlebt hatten, war jetzt die Stunde des Dankes: Dank für die Erfahrung des gebeteten Kreuzweges durch das ehemalige KZ Dora bei Nordhausen, in dem 60 000 Menschen aus 40 Nationen den Tod fanden. Dank für die gelebte ökumenische Verbundenheit, als Christen unterschiedlicher Konfession in der Krypta des Nordhäuser Domes vor dem ausgesetzten Allerheiligsten im Wechsel Nachtwache hielten

Zwischen 16 und 68 Jahren waren die Wallfahrer alt, die sich in Magdeburg trafen und dann in zwei Gruppen auf verschiedenen Wegen ins Eichsfeld pilgerten. Es war eine Wallfahrt in des Wortsinns tiefster Bedeutung: An manchen Tagen ging es bis an die Grenze der physischen Belastbarkeit. Wenn aber dann beim Einbiegen in die Kirchstraße in mehreren Orten die Glocken zur Begrüßung läuteten, waren Schweiß, Staub, Durst und manche Blase an den Füßen vergessen

Geistliche Akzente gab es im Laufe des ganzen Tages: Angefangen vom Beten der Tagzeiten über einer Punkta am Vormittag und Schriftkreise am Nachmittag mit anschließendem Rosenkranz bis zur Agapefeier, und katholischen und evangelischen Gottesdiensten im Wechsel

Die am weitesten gereisten Wallfahrer waren Hella (sie lebt seit 30 Jahren in Guatemala) und Antonio (er studiert in Mexico Theologie). Novizin Agi aus Ungarn und Eva-Maria aus Österreich mit ihrer deutschen Schwester Marianne gehören den "Kleinen Schwestern des Charles de Foucould" an. Auch Marie aus Tschechien hatte sich mit auf den Weg gemacht. Und die deutschen Teilnehmer waren irgendwo zwischen Hamburg und Dresden, Greifswald und Füssen, an der Spree oder am Rhein zu Hause

Das Erkennungszeichen der Wallfahrer war ein Fisch mit dem Christuszeichen, getragen an einem Band. Ein Vortragekreuz aus Haselnußhölzern, mit Feldblumen geschmückt, führte den Wallfahrtszug an. Unterbringung in den Gemeinden und Verpflegung waren denkbar einfach. Und selbstverständlich: Kein Alkohol, kein Nikotin, kein Kaffee, keine Butter, keine Süßigkeiten

Die Tagesstrecken betrugen zwischen 15 und 35 Kilometern. Das Wetter war durchgehend sonnig und warm - bis 30 Grad. Natürlich blieben bei diesen Anstrengungen gelegentliche Spannungen nicht aus. Diese aber auch durchzustehen, sich gegenseitig nicht nur zu ertragen, sondern zu tragen, das war gelebtes Christentum

Entstanden ist die Fußwallfahrt aus der polnischen Fußwallfahrt im August nach Tschenstochau. Als 1981 die Teilnahme von katholischen Christen aus der DDR nicht mehr möglich war, regte Bischof Heinrich Theißing diese Wallfahrt an, die seitdem immer vom 4. bis 15. August stattfindet

"Auf dem Weg waren wir mit unseren guten Gesprächen ganz nah bei Christus", brachte es Jesuitenpater Roland in der Abschlußpredigt auf den Punkt. Denn das hat wohl jeder gespürt: So frei und gelassen und im Innersten froh, war ich noch in keinem anderen Urlaub

Klaus Schirmer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 36 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 07.09.1997

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