Ein Schritt in Helftas Zukunft
Internationale Tagung zu Spiritualität, Mystik und Frauenbildung
Helfta/Eisleben - Das Geheimnis mystischer Erfahrungen, welche die Vereinigung mit Gott zum Ziel hat, wird nur wenigen Menschen zuteil. Durch Askese, Meditation und Kontemplation können sich Menschen solchen Erfahrungen annähern, doch letztlich sind diese ein Geschenk
In Helfta, einem der bedeutendsten Zisterzienserinnen-Klöster des Mittelalters, haben besonders drei Frauen durch ihr tief verinnerlichtes religiöses Leben einen entscheidenden Anteil an der Verbreitung mystischer Erfahrungen: Gertrud von Hackeborn (1231-1299), Mechthild von Magdeburg (1207-1282/94) und Gertrud die Große (1256-1301/02). Zum internationalen geistigen Austausch über ihre Werke und ihr Wirken trafen sich vom 1. bis 4. September Wissenschaftler und interessierte Laien an diesem historischen Ort, der noch vor wenigen Jahren fast in Vergessenheit geraten wäre. Organisiert wurde die Tagung vom Verband der Freunde Helftas und dem Frauenreferat des Seelsorgeamtes der Diözese Magdeburg
Drei große Themengruppen bildeten den Rahmen für die Vorträge in diesen Tagen: das Kloster und seine Baugeschichte, die Mystik in Helfta und die Auswirkungen der Helftaer Mystik. Die Vorträge fanden in recht provisorischer Umgebung statt zum Beispiel im ehemaligen Schafstall oder in der alten Mühle. Doch gerade durch diese Provisorien konnte eine Atmosphäre von Unmittelbarkeit und Verbundenheit zu den mittelalterlichen Mystikerinnen entstehen
Die Gründung Helftas im 12. Jahrhundert war das Resultat einer Aufbruchbewegung zu religiöser Neubesinnung. Ziel war ein tief verinnerlichtes religiöses Leben im ursprünglichen Geist des heiligen Benedikt. Damit wandten sich die Ordensfrauen gegen die allzu stark fortgeschrittene Verweltlichung der mittelalterlichen Kirche
Das Kloster wurde so für die Frauen zu einem Ort der Bildung, Kontemplation und Meditation. Innerhalb dieses Umfeldes konnten Mechthild von Hackeborn, Mechthild von Magdeburg und Gertrud ihre mystischen Erlebnisse in Sprache kleiden. Somit entstanden die Helftaer Werke, die auch heute noch nichts von ihrer Faszination sowohl für die Theologie als auch für die Sprachwissenschaft verloren haben. Aufgrund der Eigenständigkeit ihres Schaffens und ihres hohen Bildungsniveaus wird in der Literatur auch von einem eigenen "Helftaer Theologinnenkreis" gesprochen
Die geistig-geistliche Förderung der Schwestern war ein besonderes Anliegen in Helfta. So ist von Gertrud von Hackeborn der Grundsatz überliefert: "Wenn der Eifer für die Wissenschaft verloren gehe, so werde auch die Pflege der Religion aufhören, da sie dann die Heilige Schrift nicht mehr verstünden." Das Ziel aller theologischen Ausbildung war die Vorbereitung der Schwestern darauf, die in der Heiligen Schrift ruhende Wahrheit zu erkennen. Das Erkennen dieser Wahrheit liegt auch ihren Schriften zugrunde, die in den mystischen Erfahrungen mit Gott ihren Ausdruck findet. Dabei bilden das Lesen der Heiligen Schrift und die Liturgie die Grundlage ihrer Erfahrungen. Der verinnerlichte Vollzug der Liturgie und mystische Erfahrungen bilden eine Einheit und sind wesentlich für die Mystik in Helfta
Daß mystische Erfahrungen aufgrund ihrer großen Intensität und Einzigartigkeit eine besondere Sprache erfordern, kommt besonders in dem Werk Mechthilds von Magdeburg zum Ausdruck. Dies ist eine Sprache der Liebe und Erotik in Anlehnung an das Hohelied Salomos. Auf der Tagung wurde diese Sprache auch in Vorträgen thematisiert
Doch nicht nur im Mittelalter waren Frauen zu mystischen Erlebnissen fähig. In der Tradition der Zisterzienserinnen gibt es auch heute noch Ordensschwestern, die nicht nur von solchen Erlebnissen berichten, sondern sie auch in Worte fassen können. Zu diesen Menschen zählt die Äbtissin M. Assumpta Schenkl OCist aus Seligenthal (siehe Interview Seite11), die bereits in mehreren Texten ihren mystischen Erfahrungen Ausdruck verliehen hat
Die Äbtissin, die auch an der Tagung teilnahm, und ihre Schwestern wollen in den nächsten Jahren das Kloster Helfta als geistliches Zentrum wieder neu beleben und somit auch ein wenig an die Helftaer Tradition anknüpfen. Das Gelingen dieses Vorhabens hängt allerdings wesentlich von der finanziellen Kraft des "Verbandes der Freunde des Klosters Helftas e.V." ab
Daß das Kloster Helfta als eines der bedeutendsten geistlichen Zentren des Mittelalters immer mehr wieder in das Bewußtsein der Menschen rückt, hat sicher nicht nur etwas mit der Erhaltung des Klosters Helfta als kulturellem Erbe zu tun, sondern auch mit der Wiederentdeckung der mystischen Tradition. Wie auch eine Reform des Glaubens dem Entstehungsgedanken Helftas zugrunde liegt, so sehnen sich auch heute immer mehr Menschen nach einem verinnerlichten Leben. Die Wiederentdeckung und das neu erwachte Interesse an den Texten der Helftaer Mystikerinnen scheint jedenfalls ein Schritt in diese Richtung zu sein
Claudia Menzel
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 14.09.1997