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Aus der Region

Nothelfer in Not

Jede zweite Telefonseelsorge gefährdet

Etwa jede zweite Telefonseelsorgestelle in Ostdeutschland ist wegen "ungeklärter Finanzen" in ihrem Fortbestehen "akut gefährdet". Dazu Uwe Müller von der Regionalkonferenz-Ost der Telefonseelsorge im Interview

Frage: In der Presse wird die finanzielle Situation der Telefonseelsorgestellen als katastrophal bezeichnet. Worin besteht diese Katastophe

Müller: Die Katastrophe besteht darin, daß die finanziellen Mittel für die 18 hauptamtlichen Mitarbeiterstellen der 18 Einrichtungen in den neuen Ländern durch keine Wiederanschlußfinanzierun

gen weitergeführt werden können. Spätestens im Sommer 1998 laufen sie aus. Damit ist zu befürchten, daß mindestens die Hälfte der Stellen abgebaut werden muß. Außerdem wird damit die Arbeit auch inhaltlich in Frage gestellt, da die Ausbildung der ehrenamtlichen Mitarbeiter sowie ihre Betreuung nicht mehr gewährleistet sind.

Frage: Wie finanziert sich die Telefonseelsorge

Müller: Die Einrichtungen werden jedes Jahr mit 40 Millionen Mark von den Kirchen unterstützt. Davon fließen allerdings nur 1,02 Millionen in die neuen Länder. Daran zeigt sich die finanzielle Impotenz der ostdeutschen Kirchen. Außerdem werden die Telefonseelsorgestellen von den regionalen Kirchen und den Kommunen unterstützt, wenn auch in bescheidenem Maße

Frage: Welche Einrichtungen sind konkret betroffen

Müller: Die Telefonseelsorge Wernigerode mußte im Mai ihren Dienst einstellen. Jena wird wahrscheinlich zum 31. Dezember schließen müssen. In Erfurt ist von eineinhalb Stellen nur noch eine halbe Stelle übrig und in Frankfurt/O. kann gar nicht erst mit der Arbeit begonnen werden.

Frage: In welchem Maß können Sie ihre finanziellen Ausgaben durch Spenden abdecken

Müller: Das Spendenaufkommen in Ostdeutschland ist sehr zurückgegangen. Vor der Wende konnten wir ein Drittel unseres Haushalts mit Spenden bestreiten. Die Haushaltskosten sind von 45 000 auf 300 000 Mark angestiegen, doch die Spenden sind ungefähr mit 15 000 Mark gleich geblieben. Das sind von ehemals 30 nur noch fünf Prozent - mit rückläufiger Tendenz. Hinzu kommt, daß der Aufwand, Spender zu werben, enorm gestiegen ist. Es gibt Überlegungen, eine Stiftung zu gründen. Doch das dauert mindestens zwei Jahre. Doch dann könnte es schon zu spät sein.

Frage: Wie stark wird der Telefonseelsorgedienst in Anspruch genommen

Müller: In Berlin haben wir etwa 20 000 Anrufe im Jahr. Die Zahl nimmt aber immer mehr zu. Diese wird durch die Regionalisierung und die Kostenfreiheit der Rufnummer, die in Zusammenarbeit mit der Telekom geschaltet werden konnte, noch erhöht. Somit konnte ein regelrechter Notrufservice eingerichtet werden. Das Resultat allerdings ist, daß wir zwar mehr Arbeit aber nicht mehr Geld haben.

Frage: Wie lange dauert ein Gespräch durchschnittlich

Müller: In der Regel dauert ein Gespräch etwa 30 Minuten. Bei akuten Problemen, beispielsweise bei Suizidgefahr, kann es aber auch schon mal zwei Stunden und länger dauern. Wichtig ist, daß die Menschen, die anrufen, jemanden zum Reden haben. Alarmierend ist, daß es in den neuen Bundesländern doppelt so viele Anrufe mit Suizidproblematik gibt, das sind fast zehn Prozent aller Anrufe und auf den Tag umgerechnet fünf bis sechs. Interview: C. Menze

Die kostenfreien Rufnummern der Telefonseelsorge lauten: 08 00 / 1 11 01 11 oder 08 00 / 1 11 02 22

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 38 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 21.09.1997

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