Guten Tag, Herr Pfarrer!
Diakon in der Diaspora
Guten Tag, Herr Pfarrer! Diesen Gruß bekommt Klaus Janich immer wieder zu hören auf seinen häufigen Fahrten durch die Dörfer rund um den Petersberg bei Halle. Daß er nicht Pfarrer, sondern Diakon ist, finden viele der Dorfbewohner offensichtlich nicht so wichtig. Sein Auto bleibt kaum einen Tag in der Garage stehen. "Du wirst viele Besuche machen müssen", hatte der Magdeburger Bischof ihm vor drei Jahren gesagt, als er seinen Dienst in den Landgemeinden Ostrau und Löbejün antrat
Mittlerweile hat Klaus Janich fast jeden der 727 Katholiken in den 23 Dörfern seines Einsatzgebietes zu Hause besucht. Eigentlich ist seine jetzige Aufgabe untypisch für einen Diakon, findet er. Fast acht Jahre lang war er zuvor als Diakon in der Stadtgemeinde Merseburg für Jugendarbeit zuständig. Während er dort eher eine helfende Funktion hatte, ist er jetzt faktisch Leiter der Gemeinden im nördlichen Saalkreis. Mit dem zuständigen Pfarrer in Görzig arbeitet er zwar eng zusammen, doch der muß sich selber um ein großflächiges Gebiet kümmern
Die Katholiken in Löbejün und Ostrau verstehen recht gut, daß nicht jeden Sonntag ein Priester bei ihnen ist. Wenn Diakon Janich mit ihnen sonntags einen Wortgottesdienst feiert und die Kommunion austeilt, empfinden sie das nicht als "zweitklassig". Das gleiche gilt für die 30 Kranken und Gebrechlichen, denen Klaus Janich jeden Monat die Krankenkommunion bringt. "Sie leben auf diese Besuche hin", erzählt der Diakon. Selbst diejenigen, die ansonsten schon sehr vergeßlich sind, hat er noch nie unvorbereitet angetroffen
Die beiden Gemeinden, für die Diakon Janich zuständig ist, sind sehr unterschiedlich: Die Ostrauer Pfarrvikarie St. Michael ist nach dem Zweiten Weltkrieg von Galiziendeutschen aufgebaut worden, die bodenständig und in engem Kontakt mit ihren Familienverbänden leben. Sie haben eine tiefe Verbindung mit ihren Ahnen, so daß die Gräbersegnung im Dorf Ostrau, das zu 20 Prozent katholisch ist, immer ein großes Fest ist
Im Unterschied zu den Sudetendeutschen und Schlesiern, die den Hauptanteil der Löbejüner Stammgemeinde bilden, ist in den Nachkriegsjahren kaum einer der Galiziendeutschen weiter nach Westen gewandert oder in Städte umgezogen. Die Gemeinde Löbejün profitiert in jüngster Zeit von der "Landflucht" junger Familien aus Halle. Unter anderem macht sich der Zuwachs im kräftigeren Gesang bei den Gottesdiensten bemerkbar, die manchmal auch von den Familien mitgestaltet werden
Der 54jährige hat sich seine Arbeitswoche eingeteilt: Dienstags erledigt er im Ostrauer Pfarrhaus Haushalt und Büro, Garten- und Bauarbeiten, mittwochs finden häufig Konferenzen und Weiterbildungsveranstaltungen statt, am Donnerstag gibt er Religionsunterricht, freitags teilt er Krankenkommunion aus. Der Samstag ist mit Vorbereitungen für den Sonntag angefüllt. Nach den Sonntagsgottesdiensten fährt der verheiratete Diakon bis Dienstag morgen zu seiner Frau nach Merseburg
Wenn Eva Janich, die bis vor kurzem selbst berufstätig war, es einrichten kann, besucht sie ihren Mann in Ostrau. Doch die meiste Zeit müssen die Janichs eine Wochenend- oder besser gesagt Wochenanfangsehe führen. Prälat Dieter Lehnert, der im Bistum Magdeburg für die Aus- und Weiterbildung der Ständigen Diakone zuständig ist, bezieht die Ehefrauen bereits während der mehrjährigen Vorbereitungszeit auf die Weihe intensiv mit ein
Bereits vor der Diakonenweihe ist den Frauen klar, daß der künftige Beruf ihres Mannes außergewöhnliche Anforderungen an die ganze Familie stellen wird. Viele Diakonen-Kinder leiden unter den hohen Erwartungen, die Gemeindemitglieder an sie stellen. Die drei (mittlerweile erwachsenen) Janich-Kinder hatten Glück. Für sie hat sich durch die neue Berufung ihres Vaters nicht viel verändert. Alle drei waren bereits vor der Diakonenweihe so gut in Musik-, Jugend- und Ministrantengruppen ihrer Gemeinde integriert, daß man sie als eigenständige Persönlichkeiten und nicht nur als "die Kinder des Diakons" betrachtete. Einen Sonntag im Monat hat Klaus Janich frei und ist ein "ganz normaler" katholischer Familienvater und Ehemann. Dann genießt er es, nicht predigen zu müssen und neben seiner Frau in der Kirchenbank zu sitzen
Sehr gerne hatte er 20 Jahre lang in seinem Beruf als Lehrmeister für BMSR-Technik gearbeitet. Allerdings wurde in wachsendem Maße von ihm erwartet, die Lehrlinge politisch zu erziehen. Immer häufiger geriet er deshalb in Gewissenskonflikte. In seiner Pfarrgemeinde war er sehr engagiert als Lektor, Kommunionhelfer und in der Arbeit mit Ministranten. Ein Mann aus der Gemeinde hatte sich bereits entschlossen, Diakon zu werden, so daß der Gedanke nahelag, ebenfalls an einem Kurs für angehende Diakone teilzunehmen
Die Entscheidung, ganz ohne handwerklichen Beruf zu leben, ist ihm nicht leichtgefallen. Er bedauerte damals, nicht nebenberuflich als Diakon arbeiten zu können. Nach wie vor kann Klaus Janich den "Handwerker" nicht verleugnen. Wenn es darum geht, ganz praktisch Hand anzulegen, fühlt er sich auch in seinem heutigen Berufsalltag immer besonders wohl. Für zwei Kirchen aus der Nachkriegszeit, zwei Pfarrhäuser und eine kleine Herberge ist er zuständig, da gab es in den letzten drei Jahren eine Menge zu renovieren, zumal die Vorgänger schon betagtere Priester gewesen waren. Als Handwerker sieht der Diakon abends, was er geschafft hat. Als Seelsorger dagegen kann er die Ergebnisse seiner Arbeit selten mit den Händen greifen
Was geschieht, wenn seine kleiner werdenden Gemeinden keinen eigenen Seelsorger mehr haben? fragt er sich manchmal. Er ist überzeugt, daß kleine Gemeinden nur bestehen können, wenn die Christen selber Initiative entwickeln und bereit sind, für ihren Glauben etwas einzusetzen. Wenn er für Arbeiten in der Gemeinde um Hilfe bittet, findet er immer Männer und Frauen, die bereitwillig mit anpacken. Wie aber kann man Gemeindemitglieder dazu bewegen, von sich aus ihre eigenen Fähigkeiten und Ideen einzubringen? Wie kann man sie dafür begeistern, geistliche Gemeinschaft auch jenseits der eigenen Gemeindegrenzen zu suchen, zum Beispiel bei Wallfahrten? - Fragen, für die Klaus Janich noch keine erschöpfenden Antworten gefunden hat
Für ihn selber ist klar: Er kann seinen Beruf nur ausüben, wenn er Gelegenheiten nutzt, um innerlich Kraft zu schöpfen. Kraft zum Auftanken findet er in seiner Familie, in der Gemeinschaft mit anderen Diakonen und Priestern und nicht zuletzt in geistlichen Zentren. Für die Zukunft der Kirche setzt er große Hoffnung in Orte christlichen Zusammenlebens, die Anziehungspunkt für Suchende und für vereinzelt lebende Christen sind. Der Petersberg ist für ihn ein solcher Ort. Evangelische und katholische Christen haben hier auf unterschiedlichen Wegen eine uralte geistliche Tradition wieder aufleben lassen. Er selbst besucht den Wallfahrtsort, der auf seinem Gemeindeterritorium liegt, häufig. Jugendgruppen, die in der Herberge auf dem Ostrauer Pfarrgelände übernachten, führt er gerne auf den Petersberg, um sie etwas von der Ausstrahlung dieser jahrhundertealten Stätte des christlichen Glaubens spüren zu lassen
Dorothee Wanzek
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.09.1997