Mit vereinter Kraft gegen die Not
Aus der Geschichte der Diözesan-Caritas
Dresden - Am 30. September diesen Jahres jährte sich zum 75. Mal der Tag, an dem die Satzung des Diözesancaritasverbandes inkraft gesetzt wurde. Bereits am 26. Januar 1922 hatten sich Vertreter der Caritasverbände und -ausschüsse aus ganz Sachsen in Dresden getroffen, um einen gemeinsamen Diözesanverband für die Diözese Meißen zu gründen. Das war ein notwendiger Schritt, um der vielfältigen und überall sichtbaren Not nach Ende des Ersten Weltkrieges wirksamer begegnen zu können
In den Jahren seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich Elisabeth- und Vinzenzvereine, Jugendschutzvereine, Frauenverbände und Mitglieder der königlichen Familie um sozial-karitative Aufgaben gemüht und Not zu lindern versucht. Dr. Lorenz Werthmann, der 1897 den Deutschen Caritasverband in Freiburg begründet hatte, unterstützte diese Bemühungen, die 1917 zur Gründung des Dresdner Ortscaritasverbandes führten und fünf Jahre später zur Gründung eines eigenen Diözesancaritasverbandes (DiCV)
Caritasdirektor des DiCV wurde 1923 Pfarrer Werner (Riesa), der diese Aufgabe nebenamtlich wahrnahm. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg leistete der Verband wertvolle Arbeit im Vormundschaftswesen, an Kindern und alleinerziehenden Müttern, an alten Menschen und in der Wanderarmen-Fürsorge
Das bewegte Geschehen dieser Zeit hat man treffend mit dem Bild der "wandernden Kirche" beschrieben: Polen, Ukrainer, Slowaken, Italiener, Karpatendeutsche, Oberschlesier suchten in der Landwirtschaft Beschäftigung, unter ihnen auch viele Frauen und Mädchen
Im Dritten Reich mußte sich der Verband mit den Anordnungen, Übergriffen und Vereinnahmungen durch das nationalsozialistische System auseinandersetzen, das seelsorgliche Arbeit verhindern wollte. 1939 starb Pfarrer Werner, sein Nachfolger wurde der spätere Propst der kath. Hofkirche zu Dresden, Willibrord Sprentzel. Auch er übte das Amt des Caritasdirektors nebenamtlich aus
Am 13. Februar 1945 wurde Dresden in Schutt und Asche gelegt. Die Stadt war völlig zerstört, darunter auch alle karitativen Einrichtungen. In dieser schweren Zeit strömten Tausende Flüchtlinge nach Sachsen, suchten Hilfe und Heimat. Lebten 1946 im Bundesland Sachsen 250 000 Katholiken, so wuchs ihre Zahl durch den Flüchtlingsstrom auf 900 000. Die große Zahl der Hilfesuchenden bat um Lebensmittel, Kleidung, um Medikamente gegen die Tuberkulose. Für elternlose Kinder und Jugendliche wurden Pflegeeltern und Heimplätze gesucht, für Mütter und Heimkehrer Erholungsplätze geschaffen. Eine "Bettenaktion" regte der DiCV an, um jedem Erwachsenen und jedem Kind wenigstens ein eigenes Bett zu schaffen
Beeindruckend war in den Jahren 1945/46 die Tätigkeit der Bahnhofsmission, die Tausende Frauen, Männer und Kinder betreute und für viele Flüchtlinge und Heimkehrer ein erster heimatlicher Anlaufpunkt war. Mitte der fünfziger Jahre wurde sie bereits verboten
Im Zuge der Bodenreform erhielt die kath. Kirche 1946 die Schlösser Lichtenstein, Thammenhain und Purschenstein (Neuhausen) sowie die Herrenhäuser Maxen und Seelingstädt, die über viele Jahre hin mühevoll restauriert und ausgebaut als Altenpflege- und Kinderheime genutzt wurden. Wie mühevoll das war, zeigt das Altersheim Lichtenstein: bis Ende der sechziger Jahre waren täglich siebzig Kachelöfen zu heizen. Besonders viel hat die Caritas den vielen Ordensschwestern zu danken, die mit den Flüchtlingsströmen in das Diaspora-Bistum gekommen waren und in selbstloser Weise, in wirklicher Armut und oft primitiven Wohnverhältnissen Dienst in den Heimen taten
Im Oktober 1949 erfolgte die Gründung der DDR. Die politischen Ziele waren schon drei Jahre zuvor in einer Erklärung des Polizeipräsidenten von Sachsen vor Vertretern der Inneren Mission und des Caritasverbandes klar formuliert worden: 1. Die Trennung von Kirche und Staat ist das zu erstrebende Ziel. 2. Die Jugenderziehung liegt allein, außer bei dem Elternhaus und der Schule, beim Staat und den Gemeinden. 3. Die soziale Fürsorge ist von der Kirche zu trennen und gehört allein in die Betreuung staatlicher Organe. 4. Die Kirche hat sich zu beschränken auf Abhalten von Gottesdiensten und Erteilung von Religionsunterricht in kircheneigenen Räumen. Die Caritas in der DDR wurde unter den Schutz der Bischöfe gestellt und entging so durch die Einbindung in kirchliche Strukturen der Auflösung - als einzige im Ostblock
In den fünfziger Jahren wuchs der politische Druck besonders im pädagogischen Bereich. Der Staat behauptete sein Erziehungsmonopol; das richtete sich besonders gegen die konfessionellen Kinderheime
Es war ein bedeutendes Ereignis, als die Caritas 1950 einen hauptamtlichen Caritasdirektor (Dr. Jung) und ein eigenes Haus in der Tiergartenstraße am Großen Garten in Dresden erhielt. In dieser Zeit erfolgte auch die Bildung der Caritassekretariate in zunächst dreizehn Archipresbyteraten (heute Dekanate), die ein wichtiges Bindeglied zwischen den Gemeinden und dem DiCV werden sollten
Die Not dieser Jahre hatte ein anderes Gesicht als die Nachkriegsnöte. Die Pflegebedürftigkeit und Einsamkeit alter Menschen nahm zu, Familienfürsorge, Partner- und Erziehungsprobleme wurden zu vordringlichen Aufgabengebieten. Die Fürsorge für Blinde, Gehörlose und Körperbehinderte wurde fachgerechter, die psychiatrische Fürsorge überhaupt neu aufgebaut. 1955 wurde das erste Heim für geistig behinderte Mädchen im Kloster Marienthal eingeweiht
Monika Peikert / tdh
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 05.10.1997