Trösten ohne zu vertrösten
Krankenseelsorge heute
Hannes Lehnert* hat Aids. Seine Freunde und Verwandten wissen nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollen. Was will er hören, was würde ihn eher wütend machen; wie können sie ihn trösten. Wie begegnen sie ihm in dem sterilen Krankenhausbett; jetzt wo es ihm immer schlechter geht. Viele Menschen werden mit einer ähnlichen Situation konfrontiert. Vorbereitet sind jedoch die wenigsten darauf
Eine große Hilfe können dabei die Krankenhausseelsorger sein. Auch wenn sie nicht jeder Situation mächtig sind, wollen sie sowohl den Kranken als auch die Verwandten und Freunde eine unterstützen
"Obwohl Menschen, die man liebt, in solchen Situationen sehr wichtig sind, können andere Kontaktpersonen ebenfalls helfen, mit der Krankheit klarzukommen", gibt die ehemalige Krankenhausseelsorgerin Brigitte Rosner zu bedenken. Sie arbeitete bis Mai 1997 zwei Jahre in der Magdeburger Uniklinik. Heute widmet sie sich ganz dem Hallenser Hospizdienst. Sie weiß, worauf es in der Klinik-Seelsorge ankommt: "Auf jeden Fall muß man viel Zeit mitbringen; den Leuten signalisieren, daß sie in Ruhe sprechen können. Denn oftmals kann man nur bei genauem Hinhören erkennen, was hinter den gesagten Worten steht. Häufig verbirgt sich hinter einer lapidaren Sachinformation ein tiefer Wunsch", erklärt Brigitte Rosner
Krankenhausseelsorge bedeute also unter keinem Zeitdruck stehen zu müssen. Offenheit ist das zweite Schlagwort für diesen Beruf. - Und natürlich Flexibilität: "Man kann auf keinen Fall sagen, heute habe ich neun Patienten, also kann ich bei jedem genau 15 Minuten bleiben", so die Krankenschwester und Diplom-Theologin
Die Begleitung in Form der Klinik-Seelsorge ist noch nicht in allen Krankenhäusern eingerichtet, kann aber - wo sie angeboten wird - von jedem Patienten genutzt werden: Katholiken, Protestanten und Konfessionslosen, Sterbenskranken und Menschen mit leichteren Krankheiten. Pfarrer, hauptamtliche Seelsorger aber auch ehrenamtliche Helfer tun diesen Dienst und helfen damit den Menschen, mit ihrer Krankheit und mit ihren Problemen und Wünschen besser klarzukommen, indem sie sich in dem hektischen Krankenhausalltag einfach nur Zeit für sie nehmen
Trotzdem gibt es immer noch Berührungsängste: "Vor allem von Seiten der katholischen Christen kommt immer wieder der Satz: ,so weit ist es doch noch nicht' wenn ein Pfarrer an ihrem Bett erscheint. - Es gehört eben ein Stück Bewußtseinsbildung dazu", berichtet Brigitte Rosner. Aber nicht nur Patienten, auch Pfarrer haben Schwierigkeiten. Oftmals fallen ihnen nur kirchliche Anknüpfungspunkte ein, so daß die Seelsorge für Kranke, die nicht christlich sind, äußerst schwierig ist. Krankenhausseelsorger sollten einige Grundsätze beachten, damit ihre Arbeit eine wirkliche Hilfe sein kann. "Ein guter Seelsorger sollte den Patienten Nähe spüren lassen, aber auch die nötige Distanz bewahren. Die ist nötig, um objektiv zu handeln und sich selbst zu schützen." - Dies sei zwar eine Gratwanderung, helfe aber, sich in jemanden einzufühlen, ohne dessen Position zu übernehmen. Da jeder Patient einzigartig und individuell ist, sollte man auch mit jedem einzelnen Abmachungen treffen. Eine Regel für den Seelsorger persönlich ist es, Durchhaltevermögen zu zeigen: "Eine anfängliche Phase der Ablehnung und Gewöhnung gibt es bei den meisten Menschen. Man sollte das Verhalten mancher Patienten auf keinen Fall persönlich nehmen.", so die Erfahrungen Brigitte Rosners engagierter Krankenhausseelsorge
Das ist zwar ein guter Grundsatz, doch was tut man in Situationen, in denen man wirklich nicht weiter weiß? "Am besten ist dann zu schweigen und dem Menschen - durch Gesten wie in den Arm nehmen oder die Hand halten - zu zeigen, daß man an seinen Problemen Anteil nimmt", sagt sie. Der dümmste Satz in solchen Situationen sei: "Daß wird schon wieder!"- Die Folge davon sei, daß sich die Betroffenen nicht erst genommen fühlen. Die Devise lautet also: Trösten ohne zu vertrösten und damit ein Stück Behaglichkeit in der Verzweiflung schaffen
Bei manchen Patienten helfen jedoch die jahrelang gesammelten Erfahrungen nicht weiter: "Das ist der Fall, wenn man mit einem Menschen absolut nicht klarkommt und an seine Grenzen bei der Seelsorge angekommen ist. Das muß man sich auch eingestehen können. - Seelsorger sollten keine Allmachtsphantasien entwickeln", erklärt Frau Rosner
Krankenhausseelsorge sei also zweifelsfrei kein einfacher Job; werde aber immer häufiger gebraucht. "Ich würde mir wünschen, daß mehr Krankenhäuser Stellen für Krankenhausseelsorger einrichten würden. Weiterhin könnten sich auch die Pfarrer in den Gemeinden umsehen, wer für eine solche Arbeit geeignet sein würde und die Leute dann darauf ansprechen. So könnten sich Gemeindemitglieder ehrenamtlich um kranke Menschen aus ihrer Gemeinde kümmern", schlägt Brigitte Rosner vor
Denn Menschen, die krank sind, haben auch das Bedürfnis, darüber zu reden. - Häufig nicht nur über sich selbst, sondern auch über das Verhalten zu ihren Mitmenschen: "Nicht selten werde ich gefragt: ,Wie bringe ich meinen Angehörigen bei, daß ich sterben werde?'
Auch Hannes Lehnert hat diese Frage gestellt, denn er weiß, daß er nicht mehr lange leben wird. Er ist dankbar für die Liebe, die ihm von seiner Familie und Freunden entgegengebracht wird. Aber auch für die Unterstützung der Krankenhausseelsorgerin. Sie hat ihm keine falschen Hoffnungen gemacht. So konnte sich seine Hoffnung verändern: in die Hoffnung auf ein gutes Sterben
Katharina Funke
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.10.1997