Verbindungen von Gestern zu Heute
Pilgerweg von Buchenwald nach Schöndorf gegen das Vergessen
Buchenwald (as) -Unter dem Leitwort "Lebenswert" pilgerten am 6. Oktober etwa 180 evangelische und katholische Jugendliche von der Gedenkstätte Buchenwald zur Sühnekirche St. Bonifatius nach Schöndorf. Die Sühnewallfahrt versteht sich als ein Pilgerweg gegen das Vergessen und entstand 1957 auf Initiative der katholischen Jugend Thüringens, die sich mit den Ereignissen in der NS-Zeit auseinandergesetzt hatte. Die Wallfahrt findet alle zwei Jahre statt, seit den 70er Jahren auch mit evangelischen Jugendlichen. Mit dabei war auch Weihbischof Hans-Reinhard Koch.
"Die Veranstaltung hat natürlich heute einen anderen Charakter als in den fünfziger Jahren", sagt Diözesanjugendseelsorger Stephan Riechel. Damals sei die zeitliche Nähe zum Nationalsozialismus bestimmend gewesen. Heute stehe eine aktuelle Lebensfrage im Mittelpunkt. "Dabei muss man sehen, was damals war und was heute passiert", so Riechel. Über 50 Jahre nach Hitler werde in der Gentechnik wieder mit dem Menschen experimentiert. Die Ereignisse von damals lassen sich, so Riechel, in einen aktuellen Kontext stellen. Nach einer Einführung in die Geschichte des Konzentrationslagers wurden an fünf Stationen Ereignisse in der Nazi-Zeit mit Geschehnissen von heute thematisiert. Dabei ging es um Bereiche wie die Euthanasie, Krankheit, Menschenexperimente, Ausländer und Leichenplünderung.
"Für mich war erschreckend zu sehen, wie die Leute im KZ leben mussten und behandelt wurden", sagt die 17-jährige Magdalena Brode aus Heiligenstadt. Ebenso furchtbar seien die vielen Versuchsopfer und die Tatsache, dass Menschen ohne Narkose operiert wurden. "Ich hoffe, dass man aus der Geschichte gelernt hat", meint ihre Freundin Katharina Lange.
Für den Heiligenstädter Vikar Siegfried Bolle kommt es vor allem darauf an, dass die Jugendlichen sich mit der Geschichte auseinandersetzen. "Wichtig ist, dass auch diejenigen, die den Krieg und das Leiden in den Konzentrationslagern nur aus Büchern kennen, einen Zugang zur Geschichte bekommen." Deshalb habe man bewusst Verbindungen vom Gestern zum Heute geknüpft, um deutlich zu machen, dass die Kriegsverbrechen keinen Einmaligkeitscharakter haben, sondern immer wieder passieren können und passieren.
Die Notwendigkeit des Erinnerns betonte noch einmal der evangelische Landesbischof Christoph Kähler bei der Abschlussandacht in der Schöndorfer Sühnekirche. Verbrechen würden heute nicht nur unter Feinden, sondern auch unter Freunden, Bekannten und Nachbarn begangen, sagte der Bischof in Anlehnung an die alttestamentliche Geschichte von Kain und Abel. "Wenn wir uns an die schrecklichen Ereignisse von damals erinnern, können wir hoffen, dass auch in Zukunft aus Deutschland Frieden kommt", sagte Kähler.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 11.10.2001