Weg für behinderte Schüler ist frei
Kompromiß zwischen Land und Elisabeth-Gymnasium Halle
Halle / Magdeburg (dw) - Ungewöhnlich, daß eine Schule kurz vor den Herbstferien noch mehrere neue Schüler aufnimmt. Im Halleschen Elisabeth-Gymnasium ist es dennoch passiert: Vier junge Rollstuhlfahrer besuchen seit 8. Oktober hier den Unterricht. Ein Konflikt zwischen dem Schulträger, dem Bistum Magdeburg, und Sachsen-Anhalts Kultusministerium war die Ursache dafür, daß die Fünft- und Siebtkläßler nicht schon zu Schuljahresbeginn vom benachbarten Landesbildungszentrum für Körperbehinderte ins Elisabeth-Gymnasium wechseln konnten
Das Land wollte zunächst den Wechsel ans katholische Gymnasium für behinderte Schüler erschweren. Starthilfen bei der Integration der Körperbehinderten sollten der Elisabeth-Schule erst ab Jahrgangsstufe sieben zur Verfügung gestellt werden. Für den Fall, daß das Gymnasium behinderte Schüler der Jahrgangsstufen fünf und sechs ohne Landeshilfen aufnehmen würde, hätte das Land seine Integrationshilfen auch für die älteren Schüler eingestellt. Das Bistum Magdeburg sah darin einen Verstoß gegen die gesetzlich zugesicherte Gleichbehandlung Behinderter. Schließlich können nichtbehinderte Schüler in Sachsen-Anhalt grundsätzlich bereits in Jahrgangsstufe fünf in Schulen freier Trägerschaft wechseln. Solange die Möglichkeit des Schulwechsels für Jüngere nicht geklärt war, konnten auch die körperbehinderten Siebtkläßler nicht ans Elisabeth-Gymnasium wechseln
Nach Elternprotesten einigte man sich Ende September auf einen Kompromiß: für eine Übergangszeit von drei Jahren sichert das Land Unterstützung bei der sozialpädagogischen Förderung der behinderten Schüler ab Klasse sieben zu. Um die Förderung der jüngeren Schüler kümmert sich das Elisabeth-Gymnasium selbst. Die dreijährige Übergangszeit wird das Gymnasium nutzen, um die eigenen Lehrkräfte für den integrativen Unterricht und die spezielle Förderung der körperbehinderten Schüler zu schulen. Dietmar Gotzhein, der im Bistum Magdeburg für Schulen in kirchlicher Trägerschaft zuständig ist, wies am 2. Oktober während einer Pressekonferenz in Halle auf die außergewöhnlich hohe Motivation des Kollegiums hin, behinderte und nichtbehinderte Schüler in der behindertengerecht gebauten Schule zu integrieren. Sechs Lehrerinnen und Lehrer hätten sich bereits entschieden, an einer berufsbegleitenden sozialpädagogischen Ausbildung teilzunehmen
Die vom Land zugesicherte "Starthilfe" des Landes werden Sonderpädagogen des Landesbildungszentrums für Körperbehinderte leisten. Sie beraten und begleiten bei Bedarf die einzelnen Schüler und geben darüber hinaus methodische und didaktische Erfahrungen an die Kollegen im Elisabeth-Gymnasium weiter. Drei bis vier körperbehinderte Schüler jährlich kann die katholische Schule während der Übergangszeit neu aufnehmen
Die Kirche sehe ihre Aufgabe allerdings nicht nur darin, für die Schüler der eigenen Bildungseinrichtungen dazusein, sagte Dietmar Gotzhein. An allgemeinbildenden Schulen ist das Problem der Integration von Behinderten seiner Ansicht nach noch nicht zufriedenstellend gelöst
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.10.1997