Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Service

Außerhalb der Welt kein Heil!

Dr. Gerhard Nachtwei zur Evangelisierung Europas (II)

Der Tag des Herrn setzt die Dokumentation des Vortrags von Pfarrer Dr. Gerhard Nachtwei (Burg) zum Thema "Evangelisierung Europas unter den Bedingungen der Post-Moderne und des Post-Sozialismus" fort

Wenn es stimmt, daß Gott in Christus ausnahmslos mit jedem Menschen von Anfang an eine Beziehung aufgenommen hat, die er nie abbricht, wie können wir Christen unseren Mitmenschen diese befreiende Botschaft vorenthalten? Es entlastet uns Christen heute (darf aber nicht zum Wegfall des missionarischen Eifers führen), daß Gott auch Wege zum Heil kennt außerhalb unseres Engagements und auch unserer Kirche. Es muß zur Konsequenz haben, daß wir als Missionare heute nicht dogmatisch von außen daherkommen, sondern versuchen, Wegbegleiter und "Hebammen" zu sein für die Menschen in ihren je eigenen Lebensgeschichten, die immer auch Gottes Geschichten mit ihnen sind

Der Pluralismus vieler Sinn- und Lebensentwürfe ist Zeichen der postmodernen Gesellschaft. Dabei kann man den Pluralismus schnell negativ als Beliebigkeit verwerfen, als Relativierung aller Wahrheit. Man kann ihn aber auch christlich verstehen, als "Vielfalt in der Einheit". Der in Magdeburg lehrende Philosoph Wolfgang Welsch hat in seinem philosophischen Bestseller "Unsere postmodere Moderne" von einer transversalen Vernunft gesprochen. Für unsere Pastoral könnte das bedeuten: Wir müssen in unterschiedlichen Lebensentwürfen zu Hause sein können. Wir müssen sozusagen die unterschiedlichen Sprachen der Menschen, Nationen, Kulturen sprechen. Wer abgeschlossen nur in seinem eigenen Glaubensgehäuse lebt, steht in der Gefahr, fundamentalistisch und radikalistisch zu werden und dem Geist Gottes Grenzen zu setzen. Wer sich selbst absolut setzt, ist nicht fähig, das Wirken des Gottesgeistes in anderen Kulturen, Religionen, Lebensgeschichten zu entdecken. Mission kann heute nur noch auf dem Weg des Dialogs geschehen. In der Neu-Evangelisierung ist die Kirche nicht nur lehrende, sondern selbst auch lernende

Die Neu-Evangelisierung setzt die eigene Vertiefung des Glaubens voraus, das heißt die gelebte Praxis und Reflexion der persönlichen Geschichte mit Gott: im eigenen Leben, in der Kirche, in den Erfahrungen der Bibel. Nur Menschen mit innerem Tiefgang können die Gegenwart Gottes auch bei anderen entdecken und unterscheiden von den Wirkungen des Bösen, des Unrechtes, der Unfreiheit, des Unheils. Und solche Menschen bleiben immun gegenüber einer gefährlichen postmodernen Versuchung: der Banalisierung des Lebens, der Zufriedenheit mit dem kleinen Sinn, der Vermarktung der Sehnsüchte

Die Neu-Evangelisierung Europas braucht uns Christen als Grenzgänger und Brückenbauer zwischen Kulturen, Nationen, Religionen, Konfessionen. Macht nicht die kulturelle Vielfalt und das friedliche Miteinander verschiedener Völker die geistig-spirituelle Stärke Europas aus? Besonders bedrückend ist, daß dieses Konzept oft versagt und zu fürchterlichen Kriegen geführt hat. Da gilt es: Nicht das eigene Leid, sondern auch das der anderen, ist zu erinnern. Nicht nur die Schuld der anderen, auch die eigene ist zu benennen. Das hat Johannes Paul II. in seiner Enzyklika "Ut unum sint" für die Ökumene und neuerdings die Ökumenische Versammlung von Graz 1997 in ihrer Botschaft von der Versöhnung eindringlich hervorgehoben. Besonders wichtig scheint diese Aufgabe, wenn wir nach Osteuropa blicken, wo Konfessionalismus, Nationalismus und kulturelle Abgrenzung schon zu schrecklichen Auswüchsen geführt haben. Hier liegt wohl das stärkste Argument für die Notwendigkeit der Neu-Evangelisierung

Neu-Evangelisierung kann nur auf dem Weg der Diakonie geschehen. Alfred Delp hat 1945 vor seinem Tod hellsichtig geschrieben, daß die Kirche den Menschen nicht mehr erreicht, weil der heutige Mensch nicht mehr an die Kirche und nicht mal an sich selbst glauben kann, "weil er zu wenig Liebe erlebt und gelebt hat". Deshalb gibt es nur einen Weg für die Kirche, daß sie rückkehrt zur Diakonie. Der bekannte und fehlgedeutete Satz: "Außerhalb der Kirche kein Heil!" muß heute ersetzt werden durch den Satz: "Außerhalb der Welt kein Heil!". An der konkreten Welt vorbei ist das Heil der Menschen nicht zu wirken (vgl. Mt 25)

Neu-Evangelisierung bedeutet auch: Mission kann heute nur geschehen in einem ökumenischen Miteinander, nicht aus dem Nebeneinander und schon gar nicht aus dem Gegeneinander der christlichen Kirchen. Mission muß aus dem gemeinsamen Beten und der praktisch gelebten Einheit der Christen erwachsen und weiter zu ihr hinführen. Neu-Evangelisierung Europas heißt nicht Re-Katholisierung, sondern die Suche danach, die verborgene Anwesenheit des Reiches Gottes in der Welt sichtbar zu machen durch neue Verkündigung, Glaubenspraxis, gemeinsames Tun, "damit alle leben"

Die sogenannten Adalbert-Länder Europas das heißt jene Länder in denen der heilige Adalbert einst gelebt und gewirkt hat wie: Polen, Tschechien, Deutschland, Ungarn, Frankreich, Slowakei und Italien, begehen in diesem Jahre das 1000jährige Jubiläum des Todes des heiligen Wojciech-Adalbert. Wojciech-Adalbert als Bischof von Prag bekannt, hat sich kurze Zeit der Mission in Ungarn gewidmet, und am 23. April 997 den Märtyrertod als Missionsbischof bei den heidnischen Pruzzen erlitten. Über seinem Grab wurde im Jahr 1000 in Gnesen die erste Erzdiözese in Polen gegründet, die die Entstehung eines selbständigen polnischen Staates ermöglichte. Der frühere Missionsbischof Wojciech-Adalbert, wurde später chronologisch zum ersten Schutzpatron Polens. Zugleich erfreut sich Adalbert in allen anderen mittel-und osteuropäischen Ländern besondere Verehrung. Er gilt heutzutage als Brückenbauer zwischen Ost und West, gemeinsamer Heiliger der Völker Ostmitteleuropas, und als Schutzpatron der Neu-Evangelisierung

So scheint es angebracht, sich Gedanken über den Sinn und Bedeutung der Mission der Kirche heute, über den Inhalt der Neue-Evangelisierung und die Rolle, die dabei der heiligen Adalbert ausüben kann, zu machen

Neben Benedikt, Cyrill und Methodius, wird Adalbert immer deutlicher zum Patron des neuen, wiedervereinigten Europas und der Neue-Evangelisierung des alten Kontinents. Für die Polen gilt er nicht nur als Fundament der Gnesener Metropole, sondern auch als Grundlage der Selbständigkeit des neuen polnischen Staates. Dennoch verkörpert derselbe Heilige "in Geistigkeit, Religiosität, Kirchenverständnis und Kultur einen abendländischen, europäischen Universalismus" und gilt als "eine Symbolgestalt europäischer Zusammengehörigkeit"

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 41 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 12.10.1997

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps