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Aus der Region

Den Dialog suchen

Christen und Muslime

Der Göttinger Politikwissenschaftler und gläubige Moslem Bassam Tibi wird nicht müde, für einen Dialog zwischen dem Islam und der westlichen Welt zu werben. Dieser Tage war der Professor für internationale Politik im Erfurter Bildungshaus St. Martin. Der Tag des Herrn sprach mit Tibi.

Frage: Herr Professor Tibi, was ist für Sie besonders attraktiv am Islam

Tibi: Der Islam ist eine flexible Religion. Er kann sich gut an veränderte Bedingungen anpassen. Deshalb konnte sich der Islam in den letzten Jahrhunderten erheblich verbreitern. Ich habe in Senegal erlebt, wie eine gelungene Synthese zwischen afrikanischer Kultur und islamischem Glauben möglich ist. So ist im afrikanischen Islam zum Beispiel das Trommeln zum Bestandteil des Glaubens geworden. Sowohl die islamische Orthodoxie, die es schon immer gibt, als auch der islamische Fundamentalismus, der erst seit Mitte dieses Jahrhunderts existiert, akzeptieren diese Anpassungsfähigkeit allerdings nicht. Deshalb hat der Islam neben seiner Faszination auch das Gesicht der Bedrohung.

Frage: Können Christen etwas vom Islam lernen

Tibi: Wir können beide voneinander lernen. Christen können lernen, daß Muslime zu ihren Werten und zu ihrer eigenen Identität stehen. Viele Christen befinden sich heute in einer Identitätskrise. Wenn man sich selbst verleugnet, wird man von anderen kaum respektiert. Einen Moslem, der sich vor anderen Leuten selbst schlecht macht, gibt es nicht. Der würde als Ungläubiger eingestuft

Frage: Und was können Muslime von Christen lernen

Tibi: Wir können lernen, daß Religionsreformen nicht im Widerspruch zum Glauben stehen. Im Islam werden Reformer schnell verfemt und zu Atheisten abgestempelt. Christen ist es möglich, die Bibel textkritisch zu lesen, ohne verdächtigt zu werden, ein Ungläubiger zu sein

Frage: Es gibt im Islam aber auch Auffassungen, die mit dem Christentum unvereinbar sind, etwa das religiös bestimmte Rechtssystem, die Scharia ..

Tibi: Der Koran ist göttliche Offenbarung. Die Scharia ist hingegen von Menschen entwickelt worden auf der Basis der Interpretation des Koran. Ich weise die Scharia mit der Begründung zurück: Sie ist menschlich. Menschliche Meinungen aber können richtig oder falsch sein

Frage: Welche realen Chancen sehen Sie für einen Dialog zwischen Christen und Moslems

Tibi: Ein ehrlicher Dialog ist nicht leicht. Bei einem echten Dialog redet man über die Probleme. Es gibt Probleme zwischen Christen und Muslimen. Zum Beispiel müssen Muslime lernen, Christen als Menschen einer gleichberechtigten Religion zu verstehen. Bisher gelten Christen für Muslime als schutzbefohlene Minderheit, doch das ist kein guter Ausgangspunkt für einen Dialog. Oder: Sowohl Islam als auch Christentum sind missionarisch engagiert. Dies aber führt zu einem Zusammenprall. Im Dialog muß darüber geredet werden, daß man sich nicht gegenseitig missionieren kann. Dazu Seite 15

Interview: Eckhard Pohl

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 42 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 19.10.1997

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