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Aus der Region

Neue Veröffentlichung von M. Höllen

Katholische Kirche in der DDR

Der Berliner Bischof Kardinal Alfred Bengsch gehört für den Berliner Historiker und Publizisten Martin Höllen zu den prägendsten Gestalten des DDR-Katholizismus. Im jüngst erschienenen zweiten Band seines "Historischen Überblicks in Dokumenten" zur Geschichte der katholischen Kirche in der DDR unter der Titel "Loyale Distanz?" beschäftigt sich Höllen mit der Zeit zwischen 1956 und 1965. Der Tag des Herrn sprach mit ihm:

Herr Höllen, Sie widmen einen Großteil des zweiten Bandes mit Dokumenten zur Geschichte des Katholizismus in der DDR der "Ära Bengsch". Welchen Stellenwert hat Bengsch in der Kirchengeschichte der DDR?
Bengsch war die am meisten prägende Gestalt des DDR-Katholizismus. Das liegt mit an der langen Zeit - Bengsch war von 1961 bis 1979 Bischof von Berlin - und an seinem Einfluß auf zentraler Ebene. Natürlich hat es regional und innerkirchlich weitere beeindruckende Persönlichkeiten gegeben, beispielsweise den Erfurter Bischof Aufderbeck oder den Bischof des damaligen Bistums Meißen, Spülbeck, der vor allem für die innerkirchliche Erneuerung eine wichtige Rolle gespielt hat. Kirchenpolitisch hatte Spülbeck DDR-weit allerdings nur zeitweise Einfluß.
Bengschs Schweigen - so sagen Sie - sei Ausdruck eines politischen Konzepts gewesen. Welchen Konzepts?
Bengsch ist sehr rasch zu der Erkenntnis gelangt, daß die Wahrung der kirchlichen Einheit des politisch durch den Mauerbau getrennten Bistums Berlin für ihn und seine Vorstellung von der Kirchenpolitik im gesamten Gebiet der DDR von existentieller Bedeutung ist. Die Bewahrung der Einheit hatte für ihn eine freiheitssichernde Funktion. Das hieß dann aber auch: Er brauchte den Freiraum, um in beiden Teilen tätig sein zu können. Das hatte viele praktische Folgen und war besonders schwer in den Jahren der harten Abgrenzung. Deshalb meinte Bengsch, wenn er im Westen schweigt, muß er auch im Osten schweigen und umgekehrt.
Mein Urteil als Historiker ist geprägt aus der Sicht kirchenpolitischer Dokumente. Ich bedauere es, daß sich die Theologen so wenig mit dem umstrittenen Kirchenbild von Bengsch auseinandersetzen. Dann könnte manche kirchenpolitische Entscheidung noch klarer interpretiert werden.
Ich möchte zu neuen Interpretationen anregen. Das betrifft nicht nur Bischof Bengsch. Manche sehen Bischof Preysing nur als den, der die harte Konfrontation gesucht hat. Eines meiner veröffentlichten Dokumente zeigt, daß er durchaus Gesprächsangebote an die Regierung gemacht hat. Manche sehen Bischof Weskamm nur als Seelsorger, dessen Wirken rein innerkirchlich beschränkt war. Aber Weskamm hat sich durchaus in deutlicher Konfrontation mit Grotewohl auseinandergesetzt. Manche sehen Döpfner nur als den harten Anti-Kommunisten. Aber auch da hat es Differenzierungen gegeben.
Sehr deutlich wird Bengschs Anliegen, die Einheit des Bistums zu wahren, darin, daß er den Ratschlag seines Vorgängers Döpfner nicht befolgte, wenigstens vorübergehend auf West-Berlin zu verzichten. Hat Bengsch - aus heutiger Sicht - richtig gehandelt?
Bengsch blieb - trotz aller Ratschläge - bei der Bewahrung der Einheit des Bistums. Im Abstand von fast vier Jahrzehnten halte ich seine Entscheidung für überzeugend. Das gilt vor allem aus politisch-historischer Sicht: Bengsch hat damit einen bemerkenswerten Beitrag zur Wahrung des Status der Stadt Berlin geleistet. Berlin war ja bis zum 2. Oktober 1990 eine Vier-Mächte-Stadt, was auch manche im Westen gerne verdrängen wollten. Daß Bengsch sich über den sehr dringenden Vorschlag seines einflußreichen Vorgängers Döpfner hinweg setzte, hat zu einer gewissen Belastung des Verhältnisses der beiden geführt.
Mindestens in den 70er Jahren hat es innerkirchliche Kritik am Kurs von Bengsch gegeben. Sie selbst sagen, daß in der 70er Jahren auch einige Gründe für Bengschs Schweigen weggefallen seien. Hätte Bengsch seinen Kurs ändern müssen?
Sicher nicht im Sinne einer völligen Kehrtwendung. Die Kritik an ihm begann Mitte der 60er Jahre, gefördert durch das Konzil und seine Erneuerungsbestrebungen. In den ersten Jahren nach dem Mauerbau hatte Bengschs Kurs ein hohes Maß an Schlüssigkeit. Das änderte sich in den 70er Jahren. Die SED hatte versucht, die Kirchen für ihre außen- und deutschlandpolitischen Ziele zu vereinnahmen. Diese waren Anfang / Mitte der 70er Jahre erreicht. 1972 wurde der Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR unterzeichnet; 1973 wird die DDR in die UNO aufgenommen. Jetzt fielen bestimmte Momente, die zu Bengschs kirchenpolitischem Kurs geführt hatten, weg. Hinzu kommen die Veränderungen innerhalb der DDR-Gesellschaft. Zumindest steht die Frage: War der 1961 schlüssige kirchenpolitische Kurs unter den veränderten politischen Gegebenheiten der 70er Jahre noch sinnvoll?
Sie veröffentlichen die Stellungnahme von Bengsch gegen das Konzilsdokument "Gaudium et spes - Die Kirche in der Welt von heute". In wieweit hat Bengschs Haltung die Verwirklichung des Konzils in der ganzen DDR beeinflußt?
Die Haltung Bengschs hat sich fraglos auf die Umsetzung des Konzils ausgewirkt. Allerdings haben sich im DDR-Katholizismus dieser Zeit auch andere Strömungen bemerkbar gemacht. Man könnte von einer Art Nord-Süd-Gefälle sprechen. Bischof Spül-beck hatte die Umsetzung des Konzils zu einem Herzensanliegen gemacht. Auch Bischof Aufderbeck war weit offener. Die Unterschiede, die es im DDR-Episkopat unter Bengsch gab, bedürfen noch einer genaueren theologisch-kirchlichen und politischen Untersuchung. Bengschs Ablehung von "Gaudium et spes", die sicher nach sehr gründlicher Prüfung gefallen ist, hat natürlich eine weitreichende Vorgabe für die anderen Jurisdiktionsbezirke in der DDR vermittelt.
Etwas hypothetisch, aber: Hätte die Geschichte der katholischen Kirche in der DDR ohne Bengsch anders ausgesehen?
Grundsätzlich kann man natürlich sagen: Jeder ist ersetzbar. Aber für die katholische Kirche in der DDR war die Ernennung von Bengsch 1961 ein sehr glücklicher Umstand. Die katholische Kirche hatte dadurch eine weit bessere Ausgangslage als die evangelischen Kirchen. Bengsch hatte seinen Wohnsitz im Ostteil Berlins. Dadurch sind ihm und der katholischen Kirche viele Belastungen und Spannungen erspart geblieben, unter denen der Protestantismus im Osten leiden mußte. Beispielsweise ist die Anerkennung der Leitung der katholischen Kirche in der DDR ein Jahrzehnt früher geschehen, als das bei den evangelischen Kirchen der Fall war, und zwar durch das Gespräch zwischen Bengsch und Stoph schon im Jahr 1961.
Sie nennen Ihr Buch "Loyale Distanz?" Warum das Fragezeichen?
Alle Verantwortlichen der katholischen Kirche in der DDR waren von einer gewissen Distanz zum Staat geprägt. Ebenso deutlich allerdings - auch wenn das nach außen nicht so sichtbar war - ist ein an Bedingungen geknüpftes Maß an Loyalität. Das zeigt sich zum Beispiel in der Frage der Gültigkeit der Konkordate. Ich versuche nachzuweisen, daß auch die Kirche einen Konkordatspartner haben wollte und das ging nicht ohne ein gewisses Maß an Loyalität dem DDR-Staat gegenüber. Die Spannung und die wechselnde Intensität zwischen Distanz und Loyalität halte ich für eine der entscheidenden Fragen in der Geschichte der katholischen Kirche in der DDR. Deshalb das Fragezeichen.

Interview: Matthias Holluba

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 42 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 19.10.1997

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