Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Aus der Region

Schindlers Witwe

Zum 90. Geburtstag

Wer sich von Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste" hat erschüttern lassen, wird auch wissen wollen, welche Rolle Oskar Schindlers Frau bei der Rettung der Juden gespielt hat. Emilie Schindler lebt heute in San Vicente, einer Kleinstadt 60 km von Buenos Aires entfernt, und begeht am 20. Oktober ihren 90. Geburtstag

Geboren wurde sie 1907 als Tochter deutscher Gutsbesitzer im böhmischen Alt Moletein. Mit 14 Jahren kam sie in eine Klosterschule. Danach besuchte sie eine Landwirtschaftsschule und heiratete 1928 Oskar Schindler. Schindler war kein Antifaschist. Er arbeitete ab 1935 für die deutsche Abwehr in Polen. Als deutscher Spitzel wurde er zum Tode verurteilt, und nur der Einmarsch deutscher Truppen in Polen 1939 rettete ihm das Leben

Auch nach Kriegsbeginn blieb Oskar Schindler weiterhin Mitarbeiter der deutschen Abwehr in Krakau. 1941 folgte ihm seine Frau, die immer noch in Mährisch-Ostrau gelebt hatte, nach Polen. 1942 kaufte Schindler eine Emailwarenfabrik in Krakau, in der jüdische Arbeiter aus dem Getto beschäftigt wurden. Sie lebten in dem kleinen Konzentrationslager Plaschow. Als das Lager aufgelöst und alle Arbeiter nach Auschwitz verlegt werden sollten, wußten Emilie und Oskar Schindler, daß dies den Tod ihrer Arbeiter bedeuten würde. So übernahm Schindler einen Rüstungsbetrieb in Brünnlitz und konnte nach abenteuerlichen Aktionen insgesamt 1300 Juden mitnehmen, die er angeblich als unverzichtbare Arbeiter brauchte. Die Namen aller dieser Arbeiterinnen und Arbeiter kamen auf die legendäre Liste. Als diese Liste bereits genehmigt war, mußte auch der Bürgermeister von Brünnlitz, wohin die Juden kommen sollten, seine Einwilligung dazu geben

Emilie Schindler fuhr von Krakau aus in die tschechische Kleinstadt und erlangte die Genehmigung. Im Frühjahr 1944 trafen die Arbeiter in Brünnlitz ein. Emilie Schindler regelte die Versorgung für die gesamte Belegschaft. "Das waren außer den Juden, die auf der Liste standen, auch Tschechen und Polen, die bei uns arbeiteten." Die Bewohner der Umgebung unterstützten sie dabei teilweise sehr großzügig. So erhielt sie aus einer Mühle eine ganze Fuhre Grieß und Getreide. Aber für so viele Menschen reichte es eigentlich nie. Bei Kriegsende flohen die Schindlers vor der Roten Armee und verließen Brünnlitz

Nach vielen Irrwegen landeten sie in Regensburg, von wo sie 1949 nach Argentinien auswanderten. Sie übernahmen einen kleinen Bauernhof, und für Emilie begann eine entbehrungsreiche Zeit. Sie war zwar die Landarbeit gewöhnt, aber hier kannte sie die Sprache nicht, mußte sich an völlig fremde Sitten gewöhnen und hatte in ihrem Mann keine Hilfe. Er fand "die Abenteuer der Hauptstadt sehr viel aufregender". 1967 reiste Schindler nach Deutschland, wo er eine Entschädigung für seine Fabrik erhielt, und kehrte nicht zu seiner Frau zurück. Sie steckte tief in Schulden und lebte in ärmlichen Verhältnissen. Von ihrem Mann erhielt sie keine Unterstützung. Erst nach 1963 ging es ihr besser. Ein argentinischer Journalist hatte ihre Geschichte veröffentlicht, und eine Woge von Unterstützung erreichte sie. Emilie Schindler hat sich als Katholikin nicht von ihrem Mann scheiden lassen

1996 hat sie ihre Lebenserinnerungen veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung trägt den bezeichnenden Titel "In Schindlers Schatten". Das Buch ist einerseits durchzogen von der Bitterkeit über demütigende Ehejahre. Schindler hat seine Frau häufig betrogen, hat sie in schweren Situationen alleingelassen und zugleich ihre Hilfe in Anspruch genommen. Andererseits spricht das Buch von der großen Befriedigung darüber, so vielen Menschen das Leben gerettet und im Alter dafür Anerkennung gefunden zu haben

Jürgen Israel

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 42 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 19.10.1997

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps