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Bistum Dresden-Meißen

"Wenn Blinde Blinde führen"

Irmgard und Hans Buhl: Seit 35 Jahren für blinde Menschen da

"Wenn ein Blinder einen Blinden führt, fallen dann nicht beide in die Grube?" (Lk 6, 39) - dieses Wort Jesu war für Hans Buhl offensichtlich aufgehoben: Als er in seinen besten Lebensjahren erblindete, zog er sich nicht auf sich selbst zurück, sondern konzentrierte alle seine Kräfte, um denen einen Weg zu zeigen, die mit dem gleichen Schicksal zu kämpfen hatten wie er

Unermüdlich an seiner Seite seine Ehefrau Irmgard Buhl: von Oktober 1962 bis Ende Juni 1997 prägte das Ehepaar Buhl 35 Jahre lang die katholische Blindenfürsorge und Blindenseelsorge in unserem Bistum, im Bistum Görlitz und darüber hinaus im Raum der damaligen DDR. Technische Hilfsmittel waren im Vergleich zu heute begrenzt: Buhls ersetzten sie vielfach durch persönlichen Einsatz, durch Kreativität und Mobilität - trotz des eigenen Handycaps

Das "Mittragen" der Sorgen und Ängste war ein Grundanliegen ihrer Arbeit. Denn Sehbehinderung bedeutet Angst vor zunehmender Erblindung, Angst vor der Abhängigkeit von anderen Menschen, Angst, vom gesellschaftlichen und kulturellen Leben ausgeschlossen zu sein. Durch die eigene Erblindung und Lebensgeschichte bildete Hans Buhl eine besondere Fähigkeit aus, die Schicksalsgefährten zu verstehen, sie zu ermutigen und ihre Lasten mitzutragen

Anfangs hatte das Ehepaar Buhl ständigen Kontakt zu 500 bis 600 Sehgeschädigten: 400 in den drei Regionalstellen des Bistums Dresden-Meißen in Leipzig, Dresden und Chemnitz und 165 im Bistum Görlitz. Zum Ende ihrer Tätigkeit hatten sie noch zu 350 Sehgeschädigten Kontakt, nachdem sich aufgrund medizinischer und soziologischer Veränderungen die Zahlen verringert hatten

Irmgard und Hans Buhl suchten den persönlichen Kontakt durch unzählige Besuche in Wohnungen, Heimen und Krankenhäusern, allein im Jahr 1965 waren es 240 Besuche. Persönliche Probleme waren ebenso Thema wie Hilfen zur Verbesserung der Alltagssituation oder das Heranführen an neue technische Hilfsmittel. Für Einzelberatungen und Treffen kleinerer Gruppen stellten Buhls oft ihre Privatwohnung zur Verfügung

Monatlich trafen sich die Blinden und Sehgeschädigten in den Blindenzentren Leipzig, Karl-Marx-Stadt / Chemnitz und Dresden. Sie gab es schon seit den 50er Jahren. Später kamen die Regionen Plauen und Gera dazu. Diese Kreise waren bei der psychosozialen Problembewältigung behilflich und unterstützten die Integration in der Familie, Gesellschaft und Pfarrgemeinde. Im Gespräch, im Hören aufeinander, in der Information über Hilfsmöglichkeiten, bei gemeinsamen Feiern und Gottesdiensten ereignete sich das, was wir heute "Hilfe zur Selbsthilfe" nennen

Motor für inhaltliche Anregungen, Begleitung, Vermittlung und Organisation war Ehepaar Buhl. Dabei wurden sie unterstützt in religiösen und zwischenmenschlichen Problemen von den Seelsorgern, in psychosozialen und arbeitsrechtlichen Fragen von den Sozialarbeitern sowie von zahlreichen Begleitern und Helfern aus den Pfarrgemeinden

Auf zahlreichen Tagungen und Veranstaltungen versuchte das Ehepaar Buhl, Nicht-Betroffe- nen Wege zum Umgang mit Sehgeschädigten zu zeigen. Neben den fachlichen Tagungen mühten sie sich um die Einführung der Priester und Priesteramtskandidaten, der ehrenamtlichen Helfer in den Pfarrgemeinden, der Studenten und Rentner in die Problematik der Blinden und Sehbehinderten

Im sogenannten "Monitordienst" informierten sie über rechtliche und sozialpolitische Entwicklungen im Sehgeschädigtenwesen. Seit 1991 arbeiten sie im Deutschen katholischen Blindenwerk mit und bringen dort ihre spezifischen Erfahrungen ein

Sehende und Sehgeschädigte sind oft gemeinsam auf Reisen gegangen, um die Kommunikation und die Mobilität zu erweitern. Alle zwei Jahre gab es Diözesantage für Sehgeschädigte, aber auch Wallfahrten, Einkehrtage und Freizeiten. Höhepunkte waren die Behindertenwallfahrt nach Lourdes (1990) und die internationale Friedenswallfahrt auf dem Bodensee (1991)

Nicht vergessen sind die Sehgeschädigten, die aus Gründen der Gebrechlichkeit nicht zu den Treffen kommen können. Rundbriefe zu den Festtagen und die Geburtstagsgratulation sollen die Verbindung aufrecht erhalten. Die seit 1971 versandten Tonbandbriefe "Spuren des Herrn" wurden 1996 in sieben Folgen hergestellt und an hundert Interessenten verteilt

Der sogenannte "Sprechende Advents- und Weihnachtskalender", unter Mitarbeit von Erfurter Theologiestudenten erstellt, erreichte im vergangenen Jahr 190 Personen

Zur Verabschiedung von Irmgard und Hans Buhl kamen über 30 Sehbehinderte als Vertreter der einzelnen Regionen nach Chemnitz - viele von ihnen Gefährten der ersten Jahre. Im ergreifenden Gottesdienst brachten sie zum Gabengang die Hilfsmittel zum Altar, die notwendig sind und Kommunikation bewirken: ein Telefon, ein Mikrofon und einen Reisewecker. Auf dem Altar eine Liste mit den Namen derer, die an dem Gottesdienst nicht teilnehmen konnten. Auch sie sollten eingeschlossen sein

In einer Abschiedsfeier erinnerte die Abteilungsleiterin für soziale Dienste im Diözesan- Caritasverband Dresden-Mei-ßen, Dorothea Kinder, an die vielfältigen Impulse, die das Ehepaar Buhl der Blindenarbeit geschenkt hat. Sie dankte beiden für ihren selbstlosen Dienst. "35 Jahre waren Sie unterwegs im Dienst der Caritas: immer mit Einsatz der ganzen Kraft und der ganzen Person im Vertrauen auf Gottes gütige Fügung", sagte Frau Kinder. "Sie konnten an vielen Stellen dazu beitragen, die Welt zu verändern.

Dresdens Diözesan-Caritas-direktor Horst Kutschke zeichnete Irmgard und Hans Buhl mit der goldenen Caritas-Ehrennadel aus. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes Hellmut Puschmann habe diese Urkunden gern unterschrieben, sagte Direktor Kutschke, "denn er kennt als ehemaliger Seelsorger in Chemnitz und langjähriger Diözesan-Caritasdirektor Ihre Arbeit ganz persönlich"

Aloys Funke

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 45 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.11.1997

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