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Bistum Erfurt

"Wir wollten es dem Staat zeigen"

30 Jahre Meininger Kirche

Wären damals nicht die richtigen Leute an der richtigen Stelle gewesen, hätte der Bau nie stattfinden können." Walter Scholze weiß, wovon er spricht. Schließlich leitete der Polier und Maurermeister den Bau der Meininger St.-Marien-Kirche weitgehend selbst und leistete auch mit seinen eigenen Händen einen erhelblichen Teil der Arbeit

Der Neubau begann 1967 mit dem Abriß des Schwesternhauses neben der alten St.-Marien-Kirche, erzählt der heute 62jährige. "Aus politischen Gründen war immer von einem Umbau und einer Grundsanierung die Rede, denn die Genehmigung für einen Neubau gab es nicht." Vor allem Chorraum und Turm der kleinen Kirche, die 1861 durch Umbau aus einem Tanzlokal entstanden war, sollten unbedingt stehen bleiben. Zudem durften für die Arbeiten an Pfarrhaus und Kirche der sozialistischen Planwirtschaft "keine rohbauausführende Firma und kein Geld" entzogen werden. Scholze: "Man meinte, damit das ganze unterbinden zu können.

Um dennoch an umfassende Arbeiten gehen zu können, wurde Walter Scholze im März 1967 vom Bischöflichen Kommissa-riat Meiningen fest angestellt. Scholze, der aus Pilsen stammte und als Heimatvertriebener nach Meiningen gekommen war, hatte 1961 die Prüfung als Industriemeister im Hochbau abgelegt. Bereits seit 1955 hatte er beim Meininger Wohnungsbau gearbeitet. Als engagiertes Gemeindemitglied war der unverheiratete Baufachmann bereit, seine Arbeitsstelle zu kündigen, um für den Kirchbau zu arbeiten. "Was mich die Arbeit bei der Kirche beginnen und durchhalten ließ, war die reine Begeisterung", erinnert sich der damals 32jährige. "Es war der Wille, es dem Staat zu zeigen, daß wir es trotzdem schaffen, eine neue Kirche zu bauen.

Noch 1967 kam das Dach auf das neu errichtete Schwesternhaus. Zugleich wurde mit dem Abriß der alten Kirche begonnen. "Das Baumaterial wurde über die Firma INTRAC beim DDR-Außenhandelsministerium von der Diözese Würzburg mit Westmark bezahlt und von Betrieben in der DDR geliefert. Die technischen Hilfsmittel für die Bauarbeiten waren primitiv: "Wir arbeiteten mit einem vorsintflutlichen Bauaufzug und einem ausrangierten Betonmischer", erinnert sich Scholze. Er und die Hausmeister vom Bischöflichen Kommissariat und von der Pfarrgemeinde waren die einzigen fest angestellten Arbeitskräfte. Scholze. "Während wir viele der Facharbeiten ausführten, übernahmen Männer der Gemeinde in unzähligen freiwilligen Arbeitsstunden die Hilfsarbeiten." Der gesamte Bauschutt wurde per Hand und Karre aufgeladen. Steine, Zement, Bauholz, Dachschiefer kamen oft nachts auf dem Bahnhof an und mußten auf LKW umgeladen und an der Baustelle abgeladen werden. "Bei der Bereitstellung von Transportfahrzeugen leistete der Fuhrparkleiter der damaligen Bezirksdirektion für Straßenwesen in Meiningen, Bernhard Hörsgen, der zu unserer Gemeinde gehörte, unersetzbare Hilfe", betont Scholze: "Ein Bau ist nun mal zu einem großen Prozentsatz eine Transportfrage.

Als Hauptkirche des Bischöflichen Kommissariats Meiningen sollte das neue Gotteshaus nicht nur größer als die alte Kirche werden, sondern auch einen repräsentativen Charakter erhalten. Nach und nach wurde die alte Kirche abgerissen und zugleich wieder mit dem Aufbau begonnen. Schließlich wurde in einem "Husarenstreich" während des Urlaubs von Architekt Armin Trautmann und Polier Scholze der Turm der alten Kirche umgelegt. Folge war eine mehrwöchige Bausperre. "Dennoch sahen sich die Behörden gezwungen, den Weiterbau zu genehmigen", sagt Scholze. "Eine Bauruine konnte schließlich auch nicht stehen bleiben." Noch im Herbst 1968 gelang es, mit Hilfe eines geliehenen Mobilkranes eine Stahlkonstruktion, die von einer privaten Eise- nacher Firma gebaut worden war, als Skelett für die neue Kirche aufzurichten

1969 mauerte Scholze nach Entwürfen des Nienburger Künstlers Werner Nickel fast allein die gut zehn Meter hohe mit farbigem Glas durchbrochene Altarrückwand. Ein Jahr später wurde die Straßenfront, in die ein großes Betonglasfenster hineinkam, aufgerichtet. Besondere Schwierigkeiten hatte zuvor das Fundament gemacht, da kein fester Grund zu bekommen war, wie sich Scholze erinnert. Architekt Trautmann war mit den Fähigkeiten des Poliers zufrieden: "Der Scholze hat ein statisches Gefühl", sagte er des öfteren, erinnert sich der Maurermeister

Der Innenausbau der Kirche wurde mit Hilfe von Firmen realisiert. Scholze hatte dennoch Arbeit genug. Dies blieb auch so, als die Kirche 1972 bereits geweiht war. 1973 übernahm der Maurermeister dann Aufgaben auf anderen kirchlichen Baustellen. Drei Jahre später richtete die Caritas ein kleines Bauteam ein, mit dem Scholze dann fast 15 Jahre im Südthüringer Raum unterwegs war und manche seiner Erfahrungen einbringen konnte. "Es waren schöne Jahre", wie er sagt. "Zum Schluß hatten wir sogar ein Leichtmetall-Baugerüst", ein Hilfsmittel, an das beim Kirchbau in Meiningen nicht zu denken war." Heute lebt Walter Scholze gemeinsam mit seiner Schwester im Ruhestand in Meiningen

Als die Kirche 1972 durch Bischof Hugo Aufderbeck eingeweiht wurde, war es Scholze, der für die Feier mangels Druckmöglichkeiten zehn Fotoalben über die Baugeschichte der neuen Pfarrkirche zusammengestellt hatte. Eines davon erhielt er zum Dank selbst überreicht. Der damalige Pfarrer Viktor Hoffmann widmete das Album dem "Maurermeister, Polier, Maurer, Putzer, Maler und Alleskönner, dem Photographen, Grafiker und künstlerischen Berater Walter Scholze". Eckhard Pohl

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 45 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.11.1997

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