Bäcker und Küster zugleich
Seit 1822
Rosenthal - Im Ernst - so ganz allein macht Paul Scholze aus Rosenthal bei Kamenz den Job heute nicht mehr. Mit seinen 86 Jahren könnte er kaum Bäckermeister und Küster zugleich sein. Aber ein bißchen von beidem ist immer noch da, wie der rüstige Sorbe erzählt
Angefangen hat alles bereits 1822. Vermutlich vom Kloster Marienstern war die Bäckerei damals in Rosenthal direkt neben der Kirche errichtet worden - mit dem Hintergedanken, daß der Bäckermeister sich auch um das Nachbargebäude kümmern sollte. Zunächst füllte das Amt eine Familie Liebsch aus; Paul Scholzes Vater schließlich heiratete nach dem Tod des letzten Bäcker Liebsch dessen Witwe und machte in Rosenthal weiter
Paul Scholzes eigener Weg auf diesen Posten ist durch Vieles beeinflußt worden - nur nicht von ihm selbst. Eigentlich hatte er 1939 woanders als Bäckermeister anfangen wollen, doch kam der Krieg dazwischen. 1944 geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst l947 wieder entlassen wurde. Derweil machte man sich zu Hause Gedanken, wer wohl die Rosenthaler Bäckerei nun führen könnte. Die drei Brüder Paul Scholzes - alle auch Bäckermeister - kamen nicht in Frage: Einer war im Krieg gefallen, ein anderer bekam eine Bäckerei beim Schwiegervater und der dritte blieb Bäcker in Bautzen, wo alle vier das Handwerk gelernt hatten. Verschmitzt erinnert sich Scholze an diese Zeit: "Die in Rosenthal haben das während meiner Abwesenheit ausgekungelt - es wurde bestimmt: Er fängt hier als Bäcker und Küster an." Seit dem 1. Dezember 1947 ist er nun da. Viel hat sich verändert seit der Zeit: "In den ersten Jahren war das Verhältnis zwischen Küster- und Bäckerberuf noch ganz anders. Da war fast jeden Tag Wallfahrt, aber man hatte noch nicht so viel zu backen wie heute." Manchmal mochte Paul Scholze da lieber Fußballspielen als schon wieder in die Kirche, aber: "Meine Frau ließ mich immer erst nach der Andacht...
Zehn Jahre ist es nun her, seit Paul Scholzes Sohn Martin den Hauptteil des Küsterdienstes übernahm. Auch in der Backstube hat jetzt der zweite Sohn, Alois, das Sagen. Dennoch ist Paul Scholze fester Bestandteil beider Arbeitsbereiche geblieben. Auch im 87. Lebensjahr steht er jeden Tag um dreiviertel vier auf. Dann kommt sein Sohn Alois an die Schlafzimmertür und fragt einfach: "Kommst Du?". Und Paul Scholze kommt immer. 600-800 große Semmeln setzt er zusammen, um fünf Uhr ist er dann wieder verschwunden. Am späteren Morgen packt er oft nochmal mit an, Kuchen abpacken bis Zwölf. Danach hat er seine Ruhe. "Das ist keine schwere Arbeit, und sie macht mir Spaß", erklärt Scholze. "Die Frage ist immer ausschlafen oder ausruhen, und ausruhen ist mehr wert", so seine Überzeugung. Dafür geht er abends schon um halb neun zu Bett - "morgens ist man dann so halb ausgeschlafen, aber die Ruhe hat man immer noch. Auch dem Küsterdienst hat Scholze nicht abgeschworen. Zwar machen Sohn Martin und andere die meiste Arbeit, aber am Sonntag morgen um sechs ist seine Stunde gekommen - dann nämlich wollen die anderen nicht aufstehen, wie Paul Scholze augenzwinkernd erzählt. Er möchte diese Arbeiten weitermachen, so lange es geht. Auch wenn die Beine langsam schwach werden - allein durch seinen Willen wird Paul Scholze noch einige Zeit Küster und Bäcker zugleich bleiben. Christian Saadhoff
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 16.11.1997