... am 24. Juni 1951
Damals ...
Unter der Überschrift "Vom Brot des Lebens" schrieb Josef Gülden im Leitartikel
Aber nicht allein vom Brot lebt der Mensch. Mit der Magenfrage sind noch nicht alle anderen Fragen gelöst, die tieferen fangen dann erst an. Auch schon abgesehen von Glaube und Religion ist es wahr, daß der Mensch nicht allein vom Brote lebt. Ein Mensch kann leben von der Hoffnung an seine Zukunft - vom Glauben an ein menschliches Wort - an eine Sache - von der Liebe zu einem Menschen. Wie lebt die Mutter von der Sorge um ihr Kind - was opfert der Mann für seine Idee! Es ist wirklich, als ob solch geistiges Brot eine Nahrung wäre, die uns noch mehr not tut als das tägliche Brot
Aber es kommt wohl in jedem menschlichen Leben einmal die Stunde, langsam oder plötzlich, wo das irdische geistige Brot nicht mehr genügt. Wo der Glaube an das menschliche Wort ihm zerbricht, wo Vertrauen zum Menschen, auf den man gebaut hatte, versagt; die Hoffnung auf ein Lebensziel, an das man sich gehalten hatte, entschwindet und die Liebe zu einem Menschen, für den man leben wollte, getötet wird. Wehe dann dem Menschen, wenn er kein anderes, kräftigeres Lebensbrot mehr hat
Und Heil jenem, in dessen Seele ein anderer Hunger erwacht ist
Immer wieder geschieht dies im Menschen, und nur im Menschen! Das Tier lebt und stirbt und ahnt nichts anderes. Doch der Mensch spürt, daß doch noch etwas anderes in ihm ist. Immer wieder bricht in ihm die Religion durch. Ohne sie findet er keine Ruhe. Er steht zwar in der Natur, aber es ist doch noch ein Mehr in ihm! Er ist weder nur Leib, höher entwickelte Materie, noch ist er nur reiner Geist. Und Religion ist nicht ein Traum der vom Leben stiefmütterlich Behandelten, und sie entstammt auch nicht der Furcht. Es hat sehr glückliche Menschen gegeben, die doch gläubig und fromm waren
Zwar kann der Mensch den Hunger der Seele betäuben - das vermögen einzelne und ganze Zeiten und Völker -, aber er wacht doch immer wieder auf!
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 16.11.1997