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Bistum Dresden-Meißen

Weniger fromme Worte reden, dafür mehr handeln

Christlicher Glaube in der Tageszeitung

Leipzig (ste) - Wie nutzen kirchliche Autoren den Platz, den sie in der Tageszeitung eingeräumt bekommen? Gemeinsam mit Lesern und der Leitung der Lokalredaktion haben Autoren der sogenannten Kirchenkolumne in der Leipziger Volkszeitung (LVZ) ihre bisherige Praxis reflektiert. Anregungen dazu gab Dr. Dietrich Kerlen, Professor am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Leipzig. Er entwarf in einem Vortrag ein alternatives Konzept zur "Kirchenkolumne". Denn die jetzige Form sei den Gesetzen einer Tageszeitung nicht angemessen

Doch am Anfang steht eine tiefe Verbeugung vor den Service-Leistungen, die die Leipziger Volksszeitung den Kirchen erbringt. Es sei nicht überall üblich, daß die Kirchen in der Tageszeitung in diesem Umfang Beachtung fänden

Kerlen warnte vor einer unangemessenen Erwartungshaltung nach dem Motto: "Früher durften sie es nicht, heute müssen sie doch ...". Der Markt als Strukturgesetz bestimmt heute alle Bereiche der Gesellschaft. Kerlen: "Auch im religiösen Bereich gibt es heute Konkurrenz nach Marktgesetzen." Die christlichen Kirchen dürften sich nicht aus dem Geschehen von Angebot, Nachfrage und Wettbewerb ausnehmen. Als einzige Institution sei der formale Rechtsstaat dem Markt entzogen

Die Redaktion müsse nach den Gesetzen des Medienmarktes entscheiden. Das heißt: Die Tageszeitung bedient als sogenanntes "general interest"-Medium ein allgemeines Publikum mit einem allgemein interessierenden Themen-Spektrum. Die Tageszeitung ermögliche dem Leser einen Blick in verschiedene Wirklichkeiten. Eine Kirchenkolumne müsse diese Struktur ebenfalls bedienen, was sie derzeit jedoch nicht tut. Sie verkehrt nach Kerlen genau die Ausrichtung, indem sie den Leser mit seiner Existenz in Frage stellt. Das Interesse an einer solchen Kirchenkolumne kann aber, anders als zum Beispiel im "special interest"-Medium Kirchenzeitung, nicht bei allen Lesern vorausgesetzt werden

Kerlens Alternativ-Konzept: Die Kolumne soll von dem vielfältigen Handeln der Kirche im Markt des Religiösen und Sozialen erzählen. Eine veränderte Kolumne müsse es dem Leser ermöglichen, einen Einblick in das Handeln von Christen, kirchlichen Gruppen bzw. Institutionen zu bekommen. Die Kolumne bekäme damit die Ausrichtung der übrigen Tageszeitung. Statt der Anfrage an die Existenz des Lesers, würde ihm ein Angebot unterbreitet. "Das Reservoir kirchlicher Praxis ist so groß, daß ich keine Probleme sehe, damit 52 Kolumnen im Jahr zu füllen", meinte Kerlen. Diese Form verlange jedoch professionelle Darstellung, die nur durch enge Zusammenarbeit von Kolumnisten und Redaktion zu verwirklichen sei

Soweit die Alternative. Reaktionen von Lesern und Autoren: Zustimmung, daß weniger "fromme Worte" gemacht werden sollten, stattdessen von überzeugendem Handeln erzählt werden sollte, bei einigen. Die Befürchtung, daß bei der Vorstellung von kirchlichen Institutionen Werbeversprechen gemacht werden, die nicht eingehalten werden können, sowie das Pochen auf dem Vorrang der Botschaft vor der Werbung für Kirche bei anderen

Die mittelfristige Perspektive der Kolumne, so stellte Thomas Seidler, Leiter der Lokalredaktion der LVZ klar, sei die Form, wie sie nun seit dem 12. Juni 1993 praktiziert wird. Die Kolumne habe jetzt ihren festen Platz auf der zweiten Lokalseite. Was wie eine banale Feststellung klingt, heißt: Sie hat auch ihren Platz im Gesamtkonzept

Einige Verbesserungen seien aber auf jeden Fall möglich: "Die Kolumne findet immer dann gute Resonanz, wenn der Autor eine eindeutige Position bezieht. Ausgewogene Argumentationen werden dagegen als langweilig empfunden." Erster Testfall für jede Kolumne sei jede Woche die Reaktion Mitarbeiter(innen) in der Redaktion. Das schlimmste Urteil laute dabei: "Hier hat er wohl einfach das aufgeschrieben, was er am nächsten Sonntag predigen will.

Dominic Welters, Stellvertreter des Lokalchefs, mahnte in diesem Zusammenhang an, auf die Vermittlung der Gedanken zu achten: "Ich habe den Eindruck, daß die Theologen wieder neu eine Sprache finden müssen für das, was sie den Leuten sagen wollen." Er meine damit nicht nur die Vermeidung von theologischen Fachausdrücken

Zustimmung schließlich kam von beiden Seiten zur Rolle des Amtes für Gemeindedienst in der Vermittlung zwischen den rund 40 Theologinnen und Theologen und der Redaktion. Mancher mögliche Konflikt mit der Redaktion wegen zu langer Texte oder Schwächen im Inhalt fängt das Amt bereits im Vorfeld ab. Petra Wugk, zuständige Mitarbeiterin im Amt, erzählt als Beispiel von der "Maiglöckchen-Theologie" dieses Jahres: "Als der dritte Text in Folge das Erwachen der Natur in Verbindung mit Auferstehung brachte, haben wir die Notbremse gezogen."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 47 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.11.1997

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