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Bistum Erfurt

Vom Land als Behindertenwerkstatt anerkannt

Sankt Johannesstift Ershausen - Wohn- und Arbeitsort zugleich

Ershausen (ep) - "Ich bin gern hier in der Werkstatt", sagt Rosemarie R. "Wenn ich genau begriffen habe, was ich zu tun habe, machen mir meine Aufgaben richtig Spaß. Ich bin froh, daß ich mit den anderen Behinderten hier meiner Arbeit nachgehen kann.

Frau R.'s Arbeitsplatz befindet sich in der Werkstatt für Behinderte (WfB) St. Johannesstift Ershausen. Gemeinsam mit 13 weiteren Kolleginnen und Kollegen, die wie sie selbst geistig- oder mehrfach behindert sind, ist sie von Montag bis Freitag im Arbeitsbereich für industrielle Fertigung tätig. Die Frauen und Männer sortieren und verpacken Kleinteile für den Dekorationsbedarf wie zum Beispiel Rollohalterungen und versehen die kleinen Tüten mit entsprechenden Etikettierungen. Die anfallenden Arbeiten richten sich nach der Auftragslage, wobei eine gute Arbeitsauslastung gesichert ist, wie Werkstattleiter Heinz-Jürgen Runge betont

"Wir können unseren Behinderten aus einem breiten Spektrum von Aufgaben einen ihrer Eignung und ihren Fähigkeiten entsprechenden Arbeitsplatz anbieten. Dazu nehmen wir sie in ein arbeitnehmerähnliches Arbeitsverhältnis auf", sagt Runge. "Ziel ist es, den Behinderten ein möglichst normales Leben und eine weitgehende Integration in das Arbeitsleben zu ermöglichen, ohne daß sie dem harten Druck des Wirtschaftslebens unterliegen." Grundlage des Miteinanders der Behinderten und ihrer Betreuer ist das christliche Menschenbild, wonach jeder Mensch unabhängig von seinen Fähigkeiten von Gott geliebt und deshalb gleichwertig ist

Insgesamt 150 Behinderte im Alter von 21 bis 65 Jahren sind in der Werkstatt für Behinderte tätig, 20 davon in der Außenstelle Wachstedt. Weitere 15 Frauen und Männer befinden sich im Förderbereich oder im Arbeitstraining, bei dem ihre Fähigkeiten erprobt und sie auf den Einsatz in einem der Arbeitsbereiche vorbereitet werden. Die in der WfB tätigen Behinderten übernehmen in 14 Bereichen unterschiedlichste Arbeiten. Das Spektrum reicht von Aufgaben in Landschaftsgestaltung und Gärtnerei über Tätigkeiten in der Rinder-, Schweine- und Hühnerhaltung bis zu Arbeiten in Wäscherei und Küche. So ist die Gruppe Landschaftsgestaltung zum Beispiel für die Pflege von Grünflächen bis in Heiligenstadt zuständig

Die Behinderten, die größtenteils nicht nur im St. Johannesstift arbeiten, sondern auch wohnen und leben, stammen zum erheblichen Teil aus dem Eichsfeld. Andere kommen aber auch aus dem übrigen Thüringen und von weiter her. Da das Heim der Komplexeinrichtung St. Johannesstift überregional anerkannt ist, können sich vor allem christliche Eltern, die ihr Kind nicht mehr betreuen können und für das ein Heimaufenthalt nötig ist, direkt an das St. Johannesstift wenden, auch wenn sie nicht aus der Umgebung sind

Gerade in dieser Woche wurde der Einrichtung vom Landesarbeitsamt Sachsen-Anhalt/ Thüringen die unbefristete Anerkennung als Werkstatt für Behinderte im Sinne des bundeseinheitlichen Schwerbehindertengesetztes verliehen. Das hat besonders für die Förderung im Investitionsbereich positive Konsequenzen. So ist ein neues Werkstattgebäude mit 120 Arbeitsplätzen geplant, dessen Bau in allernächster Zukunft begonnen werden soll. "Der Neubau ist nötig", so Runge, "weil die bisherigen Gebäude bezüglich ihrer baulichen Verfassung, hinsichtlich des Platzbedarfs und der Anordnung der Räume, aber auch in puncto Sanitärbereiche unzureichend sind.

Die meisten der in der WfB beschäftigten Frauen und Männer wohnen in familienähnlichen Gruppen im Stift Ershausen. Leistungsstärkere und -schwächere Frauen und Männer leben dabei in jeweils einer Gruppe zusammen. Auch Rosemarie R. wohnt im Heim der Einrichtung. "Ich teile mir ein schönes Zimmer mit einer anderen Frau", sagt die 60jährige, die bereits seit ihrem 15. Lebensjahr im Stift lebt. Für die Behinderten gibt es ein vielgestaltiges Freizeit-, Hobby- und Sportangebot. Dabei wird auch mit öffentlichen Einrichtungen, Verbänden und Vereinen zusammengearbeitet. Im Heim werden die Feste des kirchlichen Jahreskreises vorbereitet und gefeiert. Kinobesuche werden organisiert. Rosemarie R. "Wir machen als Gruppe auch regelmäßig Fahrten und haben dabei schon viel Spaß gehabt." So war Rosemarie R.'s Gruppe bereits zu ein- und zweiwöchigen Fahrten am Rhein, in Bayern und selbst in Österreich unterwegs. "Es ist uns wichtig, daß unsere Leute weitgehend in das gesellschaftliche Leben integriert sind", sagt Runge

Seit Bestehen des St. Johannesstifts im Jahr 1885 tragen Paderborner Vinzentinerinnen gemeinsam mit weiteren Mitarbeitern die Sorge für das Wohl der Heimbewohner. Immer schon waren die Heimbewohner auch in praktische Arbeiten einbezogen. 1968 wurde gezielt mit arbeitstherapeutischen Angeboten begonnen und dafür 1978 ein eigenes Therapiegebäude errichtet. Nach der Wende entstand daraus die WfB. Im Heimbereich der Komplexeinrichtung leben heute insgesamt 206 Bewohnerinnen und Bewohner in zwölf Gruppen. Eine 13. externe Wohngruppe wird dieser Tage in Großbartloff eröffnet

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 47 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.11.1997

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