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Bistum Magdeburg

Tod und Taruer nicht als letzte Wörter

Ansprache von Bischof Leo Nowak

Auszüge aus einer Festansprache, die Bischof Leo Nowak auf Einladung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge am 16. November im Magdeburger Rathaus hielt

Dieses Wort ,Volkstrauertag' macht mich nachdenklich. Mir kommen eine Reihe von Fragen: Kann man Trauer verordnen? - Und: Ist unser Volk traurig? Und weiterhin: ist die Tatsache, daß es sich nur um einen Tag im Jahr handelt nicht vielleicht eine Art Alibi und ein Versuch, das entsetzliche Geschehen von Krieg, Zerstörung, Terror und Tod, das Gedenken daran und die Trauer darüber auf einen Tag zu reduzieren? Das Sich-Erinnern an alle diese furchtbaren Geschehnisse möchten wir eigentlich gar nicht zulassen, das möchten wir viel lieber wegdrücken, zur Tagesordnung übergehen. Wie steht es um unsere echte Anteilnahme und unser wirkliches Mitleid

Wie dem auch sei, heute wenigstens wollen wir uns einlassen auf die dunklen Seiten deutscher Geschichte, auf den Mißbrauch menschlicher Freiheit, auf mangelnde Zivilcourage, auf Schuld und Sünde. Das alles beklagen wir, davor können wir uns nicht verstecken. Trauer ist eine erste Reaktion auf solche Geschehnisse. Trauer bedeutet Betroffenheit. Die Verwundeten, Verbrannten, Gefolterten, die Opfer ungerechter Gewalt sind ein Teil von mir selbst. Trauer ist ein Stück Solidarität, die von mir erwartet werden darf und die zum Menschen gehört. Solidarität mit den Gepeinigten, Verfolgten, Getöteten

Und Traurigkeit löst Tränen aus. Sie befreien und lösen den Schmerz. Viele sind durch echte Trauer andere Menschen geworden, die sich nicht mehr mit Banalitäten zufrieden geben, sondern sich nun erst recht einsetzen für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit. Erschüttert und traurig sollten wir vor allem darüber sein, wozu der Mensch fähig ist. Losgelassen von allen Bindungen kann er zum Satan werden, ein Ausbund der Hölle. Blind seinen Trieben oder einem vermeintlichen Führer und einer Ideologie folgend läßt er sich hinreißen zur Vernichtung von ganzen Völkern. Das versetzt mir schon einen richtigen Schock. Das macht mich betroffen und zugleich ohnmächtig. Und doch kann und will ich mich nicht damit abfinden und ich frage mich, woher soll mir Hoffnung kommen, ohne die ich nicht leben kann? Wer gibt mir Mut zum Weiterleben, zum trotzigen Widerstand gegen das Böse? Und warum soll ich verzeihen? Oder ist es vielleicht doch besser solche Fragen einfach beiseite zu schieben und zu warten, bis mich das alles selbst einmal unmittelbar betrifft, der eigene Tod, der unerbittlich auf mich zukommt? Das geht eben nicht! Und vor allem, das geht nicht gut! Dinge, die nicht zugelassen werden, kommen meist wieder in übler Gestalt oder sie plagen mich im Traum. Die Fragen nach dem Warum und nach dem Wieso gerade ich steigen auf in unserem Innern, ob wir wollen oder nicht

Auf alle diese Fragen ist mir bislang keine bessere Antwort zuteil geworden als die des Mannes Jesus aus Nazaret, mit dem Beinamen Christus. Er bezeugt den Glauben an das Leben im Angesicht des Todes! Hoffnung wider alle Hoffnung, die sich festmacht nicht an kluger Philosophie und menschlicher Rationalität, sondern an einer konkreten historischen Person, von der es Zeugen gibt, die behaupten, daß er lebt, obwohl er selbst einen grausamen Tod gestorben ist. Und es gibt ja durchaus die eigene Erfahrung, daß Angst und Schrecken, Not und Tod nur zu überwinden sind - wenn überhaupt - durch ein noch größeres Vertrauen und einen noch stärkeren Glauben. Wer sich da festmacht an diesem Jesus Christus, der wird die Wahrheit des Unmöglichen erfahren können: daß sich Traurigkeit in Zuversicht verwandelt, eine verschlossene Tür sich auftut, der Stein vom Grabe weggewälzt wird und die Gräber der Toten sich öffnen. Da wird keine Klage mehr sein und alle Tränen werden abgewischt und der Tod wird nicht mehr sein und eine Stimme ist zu hören: Siehe, ich mache alles neu! Das ist es doch, was wir insgeheim erwarten. Tod und Trauer sind nicht das letzte Wort und aus dem Tod erwächst das Leben! Der Glaube an das Leben und eine unausrottbare Sehnsucht, sie stecken tief in jedem Menschen. Die Trauer, der Verlust, ob sie nicht doch schon verweisen auf ein Leben, das keine Grenzen kennt

+ Leo Nowak

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 47 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.11.1997

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