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Bistum Erfurt

"Wir können Wegbegleiter sein"

Jörg Müller über die Arbeit der Familienberatung

Anläßlich des 20jährigen Bestehens der katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatung (EFL) im Bistum Erfurt sprach Carsten Kießwetter, Leiter der Pressestelle des Bistums Erfurt, mit dem Fachreferenten für Beratung, Jörg Müller:

Frage: An wen richtet sich das Beratungsangebot

Müller: Es richtet sich an alle Menschen in unserem Land, die Beziehungsprobleme in der Familie, mit den Kindern, dem Partner, mit Kollegen oder auch mit sich selbst haben. Und die unsere Hilfe in Anspruch nehmen wollen, egal ob sie einer Kirche angehören oder nicht

Frage: Wie kommen die Leute zu Ihnen

Müller: Hauptsächlich durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Also durch einen Tip von Freunden, Bekannten, von Menschen, denen wir schon einmal helfen konnten, durch behandelnde Ärzte und staatliche Stellen, etwa dem Jugendamt. Oft erfahren sie von uns auch aus der Zeitung. Die Menschen wissen meist aus Erzählungen, was sie erwartet. Die kirchlichen Beratungsstellen haben einen guten Ruf, denn sie standen und stehen nicht im Verdacht, Gehörtes an staatliche Stellen weiterzuleiten. Hier wirkt noch ein tiefes Mißtrauen in Beratungsstellen des Staates zu DDR-Zeiten nach. Die Schwelle zum Beratungsgespräch ist im Osten jedoch immer noch höher als im Westen. Wir haben übrigens ein Zeugnisverweigerungsrecht und die Pflicht zur Verschwiegenheit nach Paragraph 203 Strafgesetzbuch.

Frage: Wie sieht ihre Arbeit konkret aus

Müller: Die Beraterin oder der Berater kann immer nur ein Wegbegleiter sein. Sie können dafür sorgen, daß seitens des Betroffenen Worte gefunden werden, die Wege einer Problemlösung aufzeigen, die bisher verschüttet waren. Das ist oft ein langer Prozeß. Am Anfang muß die Erkenntnis des Betroffenen stehen, daß, wenn ich etwas an meiner Situation ändern will, dies zuerst einmal meine Aufgabe ist.

Frage: Wie sieht die Ausbildung der EFL-Berater aus

Müller: Die Ausbildung dauert vier Jahre. Sie erfolgt als berufsbegleitende Fachausbildung in Blockseminaren an Wochenenden. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in drei Feldern ausgebildet. Da sind erstens die psychologische Theorie und die theoretischen Grundlagen der Beratungsarbeit, Krankheitsbilder ect. Zweitens nimmt die Praxis der Beratung und der Gesprächsführung einen gewichtigen Raum ein. Drittens steht die Selbsterfahrung auf dem Stundenplan. Unsere Arbeit ist hauptsächlich eine aufdeckende Arbeit von Verletzungen, was oft eine schmerzhafte Bewußtseinsarbeit darstellt. Berater müssen das einmal an sich selbst erfahren haben.

Frage: Wer finanziert die Arbeit

Müller: Wir arbeiten unter der Maßgabe des Kinder- und Jugendhilfegesetzes und bekommen somit staatliche Förderungen, wie die anderen anerkannten Beratungsstellen im Lande Thüringen auch. Als Träger der Einrichtung muß die Caritas dennoch 25 Prozent beisteuern.

Frage: Hat sich die Arbeit nach 1989 verändert

Müller: Das Spektrum der Probleme hat sich erweitert. Zuerst gilt es immer einmal zu klären, welche Probleme wir in Zusammenarbeit mit den Ratsuchenden lösen können und welche Probleme wir nicht lösen können. Diese Menschen müssen wir dann an Ärzte oder auch Juristen weitervermitteln. Es ist nach der Wende eine gewisse Sprachlosigkeit innerhalb der Familien offensichtlich geworden. Durch das Arbeitsschichtsystem in der DDR sah man sich nicht so häufig. Mit dessen Wegfall werden nun innerfamiliäre Probleme und Beziehungsstörungen evident. Zudem war zu DDR-Zeiten alles staatlich geregelt. Durch das gut ausgebaute Krippensystem der DDR waren viele Eltern nicht gewöhnt, die Kinder dauernd um sich zu haben. Die Instrumentarien aus dem Westen greifen hier im Osten deshalb oft nicht. Wir haben hier eine ganz andere Auffassung von Arbeit, gerade auch bei unseren Frauen. Man muß das gewachsene gesellschaftliche Umfeld kennen, um sinnvoll wirken zu können.

Frage: Wie hat sich das Beratungsaufkommen entwickelt

Müller: Die Tendenz ist steigend. Im Jahr 1996 hatten wir 1 100 Beratungsfälle und seit der Gründung vor zwanzig Jahren insgesamt etwa 8 500. Vor allem in den Problemzeiten im Herbst und im Winter kommen vermehrt Ratsuchende. Dann sind die Wartezeiten unter den Bedingungen der Arbeitslosigkeit oft lang. Ich bin mit den langen Wartezeiten nicht sehr glücklich, denn manche Ratsuchende springen dann wieder ab.

Frage: Wenn sie einen Wunsch für ihre Beratungsstellen frei hätten , was würden sie sich und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wünschen

Müller: Ich würde mir wünschen, daß unsere Beratungstätigkeit überflüssig würde, also die Menschen ihre schwerwiegenden Probleme gelöst hätten. Praktisch wünsche ich mir eine bessere Kooperation mit den staatlichen Stellen. Bei allen Finanzierungsproblemen wünschen wir uns als Berater eine gemeinsame Sicht für die Probleme der Ratsuchenden. Für die Kinder wünsche ich mir, daß die Eltern nicht so lange warten, bis sie sich zu einem Beratungsgespräch durchringen, denn oft ist das Kind dann im wahrsten Sinne des Wortes breits zu tief in den Brunnen gefallen. Das gilt auch für Paare mit Beziehungsproblemen. Interview: C. Kießwette

Katholische (Erziehungs-,) Ehe-, Familien- und Lebensberatung wird an folgenden Orten im Bistum angeboten

Beratungsstelle Erfurt, Mainzerhofstr. 11, Öffnungszeiten des Sekretariats: Mo, Mi, Do, Frei 9.00 bis 13.00 Uhr, Di 13.00 bis 19.00 Uhr. Tel. 0361 / 6 42 27 1

Außenstelle Jena, Wagnergasse 30, Tel. 036 41 / 44 92 5

Außenstelle Weimar, Paul-Schneider-Str. 5, Tel. 036 43 / 2021 4

Außenstelle Gotha, Querstr. 7, Tel. 036 21 / 5 34 5

Beratungsstelle Suhl, Hohe Röder 1, Erster Stock, Öffnungszeiten des Sekretariats: Mo bis Frei 9.00 bis 12.00 Uhr, Di 15.00 bis 18.00 Uhr, Mi 14.00 bis 17.00 Uhr, Do 14.00 bis 16.00 Uhr, Tel. 036 81 / 30 48 2

Außenstelle Hildburghausen, Bachstr. 16 (Caritas-Altenpflegeheim), Tel. 036 85 / 79 16 12 oder 036 85 / 77 63 0

Außenstelle Bad Salzungen, An der Armbach 3 - 5, Tel. 036 95 / 25 8

Beratungsstelle Leinefelde, Fuhlrottstr. 15, Öffnungszeiten des Sekretariats: Mo, Di, Do 9.00 bis 12.00 und 13.00 bis 16.00 Uhr, Mi 15.00 bis 19.00 Uhr, Frei 9.00 bis 12.00 Uhr, Tel. 036 05 / 87 8

Außenstelle Heiligenstadt, Petristr. 25, Tel. 036 06 / 42 5

Außenstelle Nordhausen, Spiegelstr. 15, Tel. 036 31 / 29 71

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 48 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 30.11.1997

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