Unterschlupf für Straßenkinder
Burgas: Fortschritte und Geldsorgen im Caritas-Haus Roncalli
Burgas / Magdeburg (dw) - Ein Killer kostet 100 Dollar in Burgas. Die Zahl derer, die für Geld alles tun würden, wächst im Gleichschritt mit der wirtschaftlichen Talfahrt Bulgariens. 14 Kinder haben im Caritas-Haus Roncalli zwar eine Zuflucht vor krimineller Bedrohung gefunden, die katastrophale wirtschaftliche Lage ist jedoch auch für sie spürbar, erzählt die Magdeburger Caritas-Mitarbeiterin Gabriele Mertens, die kürzlich einen Besuch im neueröffneten Haus Roncalli II machte
Vor zwei Jahren hatte die Caritas in Burgas mit Unterstützung aus Magdeburg Haus I als erste Anlaufstelle für Straßenkinder angemietet. Kurz darauf entstand die Idee, eine ständige Bleibe bereitzustellen für die Kinder, die den Absprung vom Leben auf der Straße schaffen würden, die sich auf einen geregelten Alltag mit Schulbesuch und ohne Drogen und Prostitution einlassen würden. Wegen der rasanten Inflation verschlang der Umbau des gekauften Hauses weit mehr Geld als geplant: Für Tische und Stühle reichte es nicht mehr, selbst an Spielzeug und Kaffeelöffeln fehlt es
Zwei Häuser gleichzeitig konnte der Caritasverband nicht bezahlen. Den Mietvertrag für das erste Haus hat er deshalb gekündigt. Was wird nun aus den Kindern, die der starken Faszination der Straße nicht widerstehen können? Eine Frage, die auch Gabriele Mertens bewegte. Sie suchte die Treffpunkte auf, an denen sie vor einigen Jahren die ersten Straßenkinder kennengelernt hatte, halbverhungert und verwahrlost; erwachsene Passanten reagierten sich mit Fußtritten an ihnen ab. Nur zwei ihrer "alten" Freunde traf Frau Mertens dort. Einige sind in ihren Familien untergekommen. Andere, zumeist ältere Kinder, haben einen Hilfsarbeiterjob gefunden und können bei ihren Chefs übernachten. Durch das Engagement der Caritas sind Bürger, Stadtverwaltung und Polizei sensibel geworden für die Notlage der Straßenkinder. Heute wäre in Burgas fast nicht mehr denkbar, was noch vor zwei Jahren gang und gäbe war: daß Jungen und Mädchen im Kindergartenalter vor der Gewalt in ihrer Familie auf die Straße flohen und dort abhängig wurden von Schnüffelstoffen und dem kurzzeitigen Gefühl körperlicher Nähe, das ihnen verantwortungslose Sex-Touristen boten. Wenn heute ein Kind in Burgas auf der Straße landet, wird es meist sehr schnell von der Polizei aufgegriffen und ins Haus Roncalli gebracht. Meistens bringen Eltern, Verwandte oder Nachbarn die Kinder schon, bevor die Polizei aufmerksam wird. Bei etlichen haben die vorangegangenen Lebenserfahrungen merkliche Schäden hinterlassen. Der dreijährige Mischu zum Beispiel kennt kein Sättigungsgefühl und vertilgt beängstigende Essensberge, solange er nicht gebremst wird. Sein schnüffelabhängiger Vater hatte ihm bereits als Baby die Schnüffeltüte unter die Nase gehalten, wenn ihn das Schreien des Kleinen störte. Die meisten Kinder haben in der Zeit, die sie im Roncalli-Haus verbracht haben, Fortschritte gemacht. Die älteren gehen in die Schule und bringen dort durchweg gute Leistungen. Sie sind stolz darauf, Schulkinder zu sein, und betonen das bei jeder Gelegenheit. Stolz sind sie auch auf die Brieffreundschaft mit Sechstkläßlern aus dem Magdeburger Norbertus-Gymnasium. Die "Norbertiner" sammeln in Magdeburger Geschäften derzeit Sach- und Geldspenden für die Kinder in Burgas. Bei einem Begegnungsnachmittag am 12. Dezember in ihrer Schule werden sie einen Verkaufsstand zugunsten von Haus Roncalli betreiben
Wer das Haus unterstützen möchte, kann dies tun über den Caritasverband für das Bistum Magdeburg, Darlehenskasse Paderborn BLZ 47260307, Konto 20130401; Stichwort Straßenkinder Burgas. Da nicht immer gewährleistet ist, daß der Caritasverband die Adresse der Spender erfährt, obwohl diese auf dem Überweisungsformular angegeben ist, sollten Spender, die eine Spendenbescheinigung wünschen und keine erhalten, dies mitteilen unter Tel. 0391 / 6267-0
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 30.11.1997