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Aufsäßig und voller Fragen

Zum 200. Geburtstag Heinrich Heines

Heinrich Heines "Buch der Lieder" aus dem Jahre 1827 gilt als erfolgreichster deutschsprachiger Gedichtband üherhaupt, die Übersetzungen in fast alle wichtigen Sprachen mitgerechnet. In dieser weltweiten Verbreitung kommt eindrucksvoll zum Ausdruck, worin Heines übernationale und überzeitliche Bedeutung besteht: in seiner Lyrik. Und ein Gedicht wie das folgende wirkt auch heute noch frisch und unabgenutzt

Ein Jüngling liebt ein Mädchen, / Die hat einen andern erwählt; / Der andre liebt eine andre, / Und hat sich mit dieser vermählt

Das Mädchen heiratet aus Ärger / Den ersten, besten Mann, / Der ihr in den Weg gelaufen; / Der Jüngling ist übel dran

Es ist eine alte Geschichte, / Doch bleibt sie immer neu; / Und wem sie just passieret, / Dem bricht das Herz entzwei

Als freier Schriftsteller allerdings konnte Heine erst leben, nachdem er seine "Reisebilder" veröffentlicht hatte. Besonders bekannt wurde die "Harzreise" (1826). Die - auch im Ton - lockere Beschreibung von Landschaft und gesellschaftlichen Zuständen, die politischen und antikirchlichen Seitenhiebe, die satirische Verspottung von Heuchelei und muffiger Moral, dazu eingestreute Gedichte - diese Mischung fand ein begeistertes Publikum. Heine hat damit das deutsche Feuilleton literaturfähig gemacht. Heute allerdings wirkt diese Prosa gelegentlich etwas angestaubt. Wer Heine als Prosadichter kennenlernen will, dem sei das Novellenfragment "Der Rabbi von Bacharach" empfohlen. Heine hatte diese Geschichte über mittelalterliche Judenverfolgung ursprünglich als Roman geplant. Bei einem Wohnungsbrand wurde das Manuskript vernichtet. Heine hat zwar den Anfang wiederhergestellt, aber das Buch nicht zu ende geschrieben. Doch dieses Fragment lohnt die Lektüre: es ist spannend, voller einprägsamer Gestalten und Situationen. Es enthält den Zeitkritiker und Spötter Heine ebenso wie den zartfühlenden Lyriker und den jede echte Glaubensüberzeugung achtenden Menschenfreund. Heinrich Heine wurde am 13. Dezember 1797 in einer jüdischen Familie in Düsseldorf geboren. Nachdem er eine kaufmännische Lehre abgebrochen hatte, studierte er in Bonn und Göttingen. 1821 kam er nach Berlin, um seine Studien fortzusetzen. Hier lernte er Hegel und Schleiermacher, Bettina von Arnim sowie die Dichter Fouqué, Tieck und Chamisso kennen. Er verkehrte im Salon Rahel Varnhagens und erlebte den überwältigenden Erfolg der Oper "Der Freischütz" Carl Maria von Webers. 1825 trat er zum Christentum über. Seine Behauptung, wonach der "Taufzettel" das "Entreebillett zur europäischen Kultur" sei, machte die Runde. 1831 ging er als Korrespondent der Augsburger "Allgemeinen Zeitung" nach Paris. Bis auf zwei Reisen 1843 und 1844 hat er Deutschland nie wieder gesehen. Das satirische Gedicht "Deutschland, ein Wintermärchen" (1844), in dem er die politischen und geistigen Verhältnisse aufs Korn nimmt, ist der künstlerische Ertrag dieser Reisen. Die letzten acht Lebensjahre verbrachte Heine, an einem Rückenmarkleiden dahinsiechend, in seiner "Matratzengruft". Mit dem Scheitern der Revolution 1848 scheiterte auch seine politische Utopie, auf Erden bereits "das Himmelreich" zu errichten. Er schrieb: "Nachdem ich mein ganzes Leben hindurch mich auf allen Tanzböden der Philosophie herumgetrieben, allen Orgien des Geistes mich hingegeben, ... jetzt befinde ich mich plötzlich auf demselben Standpunkt, worauf auch der Onkel Tom steht, auf dem der Bibel." Er kehrte zu Gott zurück, nicht demütig, sondern aufsässig und voller Fragen wie eh und je. Aber im vollen Bewußtsein dessen, was er tat. Er starb am 17. Februar 1856 in Paris

Jürgen Israel

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 50 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 14.12.1997

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