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Bistum Magdeburg

Friedenspreis und neue Freunde

Projektwoche mit Folgen

Magdeburg (dw) - Ihr gemeinsames Lieblingsessen ist Pizza und Spaghetti, sie hören die gleiche Musik und haben ähnliche Zukunftsträume: im vergangenen Sommer begann die Freundschaft zwischen 27 Neuntkläßlern des Magdeburger Norbertus-Gymnasiums und einer polnischen Schülergruppe der elften Klasse

Deutsche und Polen gemeinsam setzten sich im Juni einige Tage lang in der Jugendbegegnungsstätte Kreisau mit der Vergangenheit des Nationalsozialismus auseinander. Zuvor hatte die Klasse 9a des Norbertus-Gymnasiums eine Woche in Strzegom / Striegau nahe dem ehemaligen Konzentrationslager Groß-Rosen verbracht und in der dortigen Gedenkstätte gearbeitet. Sie sprachen mit Zeitzeugen, durchforsteten das Archiv der Gedenkstätte, jäteten Unkraut auf dem Gelände des ehemaligen KZ und auch auf dem jüdischen Friedhof in Walbrzych / Waldenburg

Im November wurden die Schüler für ihre Aktivitäten mit dem erstmals verliehenen Schülerfriedenspreis des Landes Sachsen-Anhalt ausgezeichnet. Der Preis wird für Leistungen vergeben, die das friedliche Zusammenlebens mit Fremden, Völkerverständigung, Gewalt-Prävention und den Abbau von Vorurteilen fördern. In diesem Jahr wurde das Preisgeld in Höhe von 5000 Mark unter allen zwölf Projekten aufgeteilt, die sich beworben hatten

Vor der zwölftägigen Projektfahrt hatte keiner der Schüler so recht zugeben wollen, daß er Vorurteile gegenüber Polen hatte. Auch die Eltern und Großeltern, die sich in einem Fragebogen zu ihrer Einstellung gegenüber dem polnischen Volk äußern sollten, waren zurückhaltend gewesen. "Nach Polen fahren - ist das nicht zu gefährlich?" lautete der einzige Vorbehalt, den Mütter und Väter zu bedenken gaben. Nach der Rückkehr kam dann heraus: "Alle Vorurteile sind abgebaut. Die Polen sind voll in Ordnung.

Seither besteht ein lebendiger Briefwechsel. Vor einigen Wochen machten zehn polnische Jugendliche in Magdeburg einen Gegenbesuch, der im Schulprojekt eigentlich gar nicht vorgesehen war. Eine junge Polin hielt bei dieser Gelegenheit einen Vortrag über die Leidensgeschichte ihres Großvaters, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Ukraine in das ehemals deutsche Gebiet vertrieben worden war. Der eine oder andere Magdeburger kannte ähnliche Berichte von eigenen Verwandten, die aus Schlesien, Ostpreußen oder dem Sudetenland vertrieben worden waren. Einige Jungen haben sich bereits für kommenden Sommer wieder verabredet

Ein ganzes Jahr lang war die Projektfahrt intensiv vorbereitet worden im Geschichts-, Deutsch- und Religionsunterricht. Unter anderem hatte die Klasse in dieser Zeit mehrfach Besuch bekommen von Zeitzeugen des Nationalsozialismus. Mehrtägige Projektfahrten sind im Norbertus-Gymnasium in der neunten Klasse seit mehreren Jahren üblich. Bisher fuhren alle Klassen zu einer biologischen Exkursion in den Harz. Religions- und Englischlehrerin Christiane Lähnemann hatte sich im vergangenen Jahr bei der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) über Möglichkeiten für Gedenkstättenfahrten mit Schülern informiert. Gemeinsam mit dem Schulleiter und dem Vorsitzenden des Elternbeirates hatte sie eine Erkundungsfahrt unternommen und anschließend Fördermittel des Deutsch-polnischen Jugendwerkes, des Landes-Wirtschaftsministeriums und des Regierungspräsidiums beantragt

Die Schüler und Klassenlehrer Steffen Lipowski sind überzeugt: Durch das Projekt hat die geschichtsinteressierte Klasse viel mehr gelernt als dies im normalen Unterricht möglich gewesen wäre. "Es ist einfach etwas anderes, ob ich in einem Buch lese, daß zig Leute in einem Konzentrationslager gestorben sind oder ob jemand neben mir sitzt, der das miterlebt hat", erzählt Nicole Stengritt. Es hat sie beeindruckt, daß keiner der polnischen KZ-Überlebenden den Deutschen gegenüber Groll gezeigt hat. "Sie haben uns alle Mut gemacht und gesagt: Die Zukunft liegt in eurer Hand. Paßt auf, daß so etwas nicht wieder passiert.

In einer symbolischen Brücke von Strzegom nach Magdeburg brachten deutsche und polnische Schüler am Ende der Projektfahrt die erlebte Gemeinschaft zum Ausdruck. Die sieben Steine der selbstgebastelten Papp-Brücke stehen für unterschiedliche Facetten der deutsch-polnischen Beziehung aus Sicht der Schüler

Die Projektfahrt nach Groß-Rosen soll keine einmalige Aktion bleiben. Schon jetzt laufen die Vorbereitungen für die Projektfahrt der nächsten Schulklasse des Norbertus-Gymnasiums, die im nächsten Jahr nach Strzegom und Groß-Rosen fahren darf. Unter anderem werden die Schüler dort eine Informationsbroschüre für Besucher der KZ-Gedenkstätte zusammenstellen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 50 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 14.12.1997

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