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Bistum Magdeburg

Verlernt, mit dem Sterben zu leben

Akademie-Tagung: Darf der Arzt einen unheilbar Kranken töten?

Magdeburg (cm) - "Ärzte und Ethos - darf ein Arzt einen unheilbar Kranken töten?" Zu einer Diskussionsveranstaltung mit diesem Titel hatte Akademiedirektor Hans-Joachim Marchio Anfang Dezember ins Magdeburger Roncalli-Haus eingeladen. Die Zahl und die Diskussionsbeiträge der Zuhörer zeugte von großem Interesse an diesem aktuellen Thema

Experten beleuchteten in Kurzvorträgen die medizinischen, historischen, theologischen und rechtlichen Aspekte der Frage nach Befürwortung oder Ablehnung der Euthanasie. In seinen einleitenden Worten wies Marchio darauf hin, wie wichtig eine differenzierte Sichtweise sei. Bereits die Tatsache, daß die Euthanasiefrage nicht nur am Lebensende, sondern auch am Beginn eines menschlichen Lebens gestellt werde, zeuge von der Komplexität des Themas. Dr. Ernst Fukalla, Pädiatrischer Chefarzt im St.-Barbara-Krankenhaus Halle, sprach in diesem Zusammenhang über das vermeintliche "Recht auf ein gesundes Neugeborenes". Er stellte die Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik in der modernen Medizin dar und verwies zugleich auf die damit verbundenen Schwierigkeiten: "Die Pränataldiagnostik erlaubt tiefe Einblicke in das Befinden des Fetus. Das Vorauswissen öffnet uns eine Tür: Wir wissen schon zu einer Zeit um Krankheiten, in der die Frau noch in ,guter Hoffnung' ist." Die Frauen würden damit vor die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch gestellt. Fukalla verwies nicht nur auf die Schwierigkeit einer moralisch vertretbaren Entscheidung des Einzelnen, sondern auch auf sichere Anzeichen für wirtschaftliche Zwänge und die Gefahr einer "Verschiebung der Werte": Die Kosten einer Abtreibung könnten gegen die Kosten einer möglichen Behandlung der Krankheit aufgerechnet werden

Professor Josef N. Neumann, Medizinhistoriker an der Universität Halle, stellte den sich wandelnden Umgang mit sterbenden Menschen und die Bewertung des Todes im Laufe der Geschichte dar. Er machte deutlich, daß Probleme mit dem Lebensanfang und -ende in der Geschichte immer wieder bestanden und keine charakteristischen Merkmale unserer Zeit seien. "Die Euthanasiefrage ist die Folge einer Neubestimmung des Zieles medizinischen Handelns", sagte Neumann

Seit der Neuzeit sei nicht mehr die Gesundheit, sondern die Lebensverlängerung das primäre Ziel medizinischen Handelns. Der Tod werde damit in Frage gestellt und nicht mehr als natürlicher Bestandteil des Lebens betrachtet. "Damit entstand auch die Frage, ob ein Mensch getötet werden darf, wenn er große Schmerzen erleidet", führte Neumann weiter aus. "Der Tod wird nur noch als Schmerzvermeidung akzeptiert." Der Historiker wies dann weiter auf die Konsequenzen hin, die diese Uminterpretation des Todes zur Folge hat: "Wenn der Handlungszweck nur noch der Schmerz und nicht mehr der Mensch ist, könnte dieser sehr schnell durch andere Handlungszwecke wie Wirtschaftlichkeit oder Volksgesundheit ausgetauscht werden." Neumann schlägt deshalb ein Umdenken in Bezug auf folgende Aspekte vor: Zum einen müsse der Tod wieder als konstitutiver Bestandteil der Natur in das menschliche Bewußtsein rücken, und zum anderen müsse Sterben wieder als Teil des Lebens verstanden werden, in dem Sinnfragen und menschliche Beziehungen eine neue Bedeutung und Intensität erfahren sowohl für Sterbende als auch für Angehörige. Wichtig sei es, das Gespräch mit dem Sterbenden zu suchen. Damit stehe dann die Sterbebegleitung und nicht die Euthanasie im Vordergrund

Josef Römelt, Ethikprofessor des Philosophisch-Theologischen Studiums in Erfurt, betrachtete Euthanasie unter dem Gesichtspunkt "Selbstbestimmung im Sterben oder Unantastbarkeit des Lebens?" Euthanasie suggeriere immer, daß es nur einen Ausweg gebe: entweder aktive Sterbehilfe zu leisten oder die Dinge dem Lauf der Natur zu überlassen. Hierbei stehe allerdings nicht das breite Feld medizinischen Handelns im Blickfeld. Mit einer "passiven Euthanasie" versuche die theologische Ethik das umzusetzen, was angesichts der modernen Medizin notwendig sei, nämlich die Unantastbarkeit des Lebens zu bewahren und das Sterben zu erleichtern. Die theologische Ethik wehre sich gegen eine Selbstbestimmung bis zum Schluß. Die Respektierung der Unantastbarkeit menschlichen Lebens sei ein Ausdruck der Achtung der Würde des Menschen, betonte Römelt

Formen der passiven Euthanasie könnten zum Beispiel der Verzicht auf Therapie, Behandlungsabbruch oder Formen der Schmerztherapie sein, die auch das Leben verkürzen können. Im Vordergrund stehe die Frage ,Wie belastbar ist ein Mensch durch Therapie?' und vor allem immer das Gespräch mit dem Patienten über seinen Tod

Als Vertreter von Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerium sprach Winfried Reckers über die rechtlichen Aspekte der Euthanasie im künftigen Europa. Der Tenor seiner Ausführungen war, daß auch im kommenden Europa aktive Sterbehilfe grundsätzlich verboten bleiben wird. Tötung auf Verlangen sei aktive Sterbehilfe und müsse strafrechtlich verfolgt werden

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 51 des 47. Jahrgangs (im Jahr 1997).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 21.12.1997

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