Junge Flüchtlinge fair behandeln
Refugium übernimmt Vormundschaften
Magdeburg (dw) - Sie flüchten vor Gewalt, Kriegselend oder bitterster Armut. Wenn ausländische Jugendliche ohne ihre Eltern nach Deutschland fliehen, hilft ihnen hier in der Regel ein Vormund, ihre Interessen gegenüber den Behörden zu vertreten. In Magdeburg hat sich als Korporatives Mitglied des Caritas-verbandes im Sommer der Verein Refugium gegründet, der in Sachsen-Anhalt Vormundschaften für Flüchtlinge unter 18 Jahren übernehmen will
Die Zahl der jugendlichen Flüchtlinge sei in Sachsen-Anhalt in letzter Zeit ständig gestiegen, erläutert die Vereinsvorsitzende Gabriele Mertens, die beim Caritasverband der Diözese Magdeburg die Abteilung Migrationsdienste leitet
In der Clearingstelle für Sachsen-Anhalt, die von der Magdeburger Caritas-Träger-Gesellschaft St. Mauritius betrieben wird, seien deshalb schon Notbetten aufgestellt worden. Bisher habe das Magdeburger Jugendamt die Vormundschaft für alle Kinder und Jugendlichen übernommen. Mit 70 bis 80 zumeist sehr arbeitsaufwendigen ausländischen Vormundschaften sei die Behörde allerdings am Rande ihrer Kapazität angelangt
Der auf Anregung des Sozialministeriums gegründete Verein Refugium will Gabriele Mertens zufolge das Jugendamt entlasten und dabei gleichzeitig sicherstellen, daß ausschließlich das Wohl der ausländischen Jugendlichen im Mittelpunkt steht, nicht aber Fragen, die mit Kosten zusammenhängen. Der Amtsvormund leite für die Jugendlichen die Asylverfahren ein
In der überwiegenden Zahl der Fälle werden die Asylanträge abgelehnt. Laut Asylverfahrensgesetz könne dagegen geklagt werden. Das koste jedoch Geld, insbesondere wenn ein Rechtsanwalt hinzugezogen wird. Seit November steht Refugium im Vereinsregister. Vormundschaften kann der Verein jedoch erst übernehmen, wenn er das Anerkennungsverfahren des Landesjugendamtes durchlaufen hat
Im Falle einer Anerkennung würde das Sozialministerium Fördergelder beisteuern. Refugium könnte dann einen erfahrenen, fremdsprachenkundigen Sozialarbeiter oder -pädagogen hauptamtlich einstellen, der die Vormundschaften übernehmen würde
Die übrigen Vereinsmitglieder sind auf unterschiedliche Weise schon heute aktiv: Zum Beispiel machen sie in der Öffentlichkeit auf die Situation jugendlicher Flüchtlinge aufmerksam. Insbesondere Osteuropäer haben in der deutschen Bevölkerung mit massiven Vorurteilen zu kämpfen, werden als "Kriminelle" oder als "Wirtschaftsflüchtlinge" beschimpft
"Fast immer steht ein guter Grund hinter der Flucht eines Menschen", weiß Gabriele Mertens aus langjähriger Praxiserfahrung. Zwar sei es in vielen Fällen kein Asylgrund, wohl aber eine ernstzunehmende Notlage. Osteuropäische Jugendliche zum Beispiel kämen fast alle aus extrem armen Familien
Es sei nicht das Ziel des Vereins "Refugium", allen Jugendlichen ein Bleiberecht in Deutschland zu erkämpfen. Der Verein wolle jedoch, daß allen minderjährigen Flüchtlingen eine faire, von Achtung und Fürsorge geprägte Behandlung zuteil wird
Ein Vereinsmitglied geht einmal wöchentlich in die Magdeburger Clearingstelle und spielt dort mit den Jugendlichen. "Die Jungen und Mädchen brauchen dringend jemanden, mit dem sie sprechen können und der ihnen etwas Zeit schenkt", hat sie bei diesen Besuchen erfahren. Ein Junge, der mit ansehen mußte, wie seine Eltern erschossen wurden, ein Mädchen, das brutal vergewaltigt wurde - die meisten Flüchtlinge haben traumatische Erlebnisse hinter sich
Über neue Vereinsmitglieder würde sich "Refugium" freuen. Allerdings ist nicht jeder willkommen: "Wir brauchen keine Leute, die ,Robin Hood' spielen wollen", betont die Vorsitzende
Die Mitglieder müssen die geltenden Asylgesetze respektieren. Wer jugendliche Flüchtlinge begleiten wolle, müsse sich im klaren sein, daß diese Aufgabe nicht einfach ist und daß die meisten Flüchtlinge eines Tages wieder in ihr Heimatland zurückgehen müssen
Wenn ein Asylantrag abgelehnt wird, wird für die Mitglieder von Refugium damit allerdings noch längst nicht alles erledigt sein: Sie werden sich dafür einsetzen, daß der Rückflug zum Wohl des Kindes gestaltet wird und daß sie in ihrer Heimat Aufnahme finden
Nähere Information über "Refugium" beim Caritasverband für das Bistum Magdeburg, Langer Weg 65-66, 39112 Magdeburg
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 04.01.1998