Ein Jubilar mit Scharfblick
Theologe Eugen Biser weist ins Christentum ein
"Gott ist tot", dieses Wort Nietzsches taugt zur Signatur des zwanzigsten Jahrhunderts. Der Theologe Eugen Biser, der am 6. Januar seinen 80. Geburtstag feiern konnte, hat auf die radikale Herausforderung reagiert, die darin zusammengefaßt ist. Wer sich mit seiner "Einweisung ins Christentum" auseinandersetzt, spürt, daß der antichristliche Denker Nietzsche nicht apologetisch als Gegner verteufelt wird, sondern als hartnäckiger Gesprächspartner und Widersprecher Gehör findet. Ganz im Sinne von Martin Buber führen Nietzsche und Biser einen Dialog, in dem die Einsprüche des Antitheologen den überzeugten Christen dazu bewegen, Glaube im Horizont der Gegenwart zu interpretieren und auszulegen. Gerade dieses Gegenüber von Frage und Antwort macht die Lektüre der "Einweisung" zu einer geistigen Anstrengung, die das Zentrum menschlicher Lebenskraft trifft
Angesichts des von ihm verkündeten Todes Gottes spricht Nietzsche von einer Welt, die, von ihrer Sonne "losgekettet", durch unendliches Nichts taumelt. Der Guardini-Preisträger Biser, der den Schrecken des Krieges nur schwer verletzt entkommen konnte, nimmt diese Diagnose auf. In einer erkalteten, säkularen Welt sei der Mensch von selbstzerstörerischer Lebensangst befallen, konstatiert Biser. Aus dieser Unheilssituation - so der Grundgedanke, der in den fünf ausgreifenden Teilen des Werkes entfaltet wird - gebe es nur einen Ausweg: die sinnstiftende und heilende Selbstmitteilung Gottes, der dem Menschen in Jesus Christus "als Bruder, Helfer und Freund" entgegentritt. Darum habe Glauben nichts mit der Bejahung eines systematisierten "Wesens des Christentums" zu tun, sondern vollziehe sich als personaler Akt der Begegnung
Im Ergebnis seiner hartnäckigen Suche nach der Mitte christlicher Identität sieht der Münchner Theologe die Zeit für eine "glaubensgeschichtliche Wende" gekommen. An die Stelle von Gehorsam, Bekenntnis und Leistung der Gläubigen trete nunmehr ein Verstehens-, Erfahrungs- und Verantwortungsglauben. Wer zukünftig über die Gestalt des Christentums nachdenkt, wird an dieser Summe lebenslangen Dialogs nicht vorbeikommen. Thomas Bros
Eugen Biser, Einweisung ins Christentum, 485 Seiten, Patmos-Verlag 1997, 49,80 Mark
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 11.01.1998