...und immer mit einem Bein im Zuchthaus
Über die Schwierigkeit im Sozialismus Kirchen zu bauen
Das alte Fabrikgelände zerfiel immer mehr. Während des Krieges hatten es die Russen heruntergewirtschaftet. Jetzt hielten sich dort sehr zwielichtige Gestalten auf. Dem Bürgermeister von Bad Schmiedeberg war das Gelände der ehemaligen Landmaschinenfabrik - mitten in der Kurstadt - schon lange ein Dorn im Auge
Der junge Vikar Claus Herold war noch nicht lange in der Stadt. Dennoch sah er die existentielle Schwierigkeit der katholischen Gemeinde: Es gab keine Kirche, obwohl die Gemeinde durch den Zustrom der Heimatvertriebenen immer größer wurde. Zwar konnten sie mit Einschränkungen auch die evangelische Kirche nutzen; das war jedoch auf Dauer keine Lösung. Herold wußte, daß er eine neue Kirche brauchte
So wie Claus Herold ging es in den 50er Jahren unzähligen Geistlichen. Während des Krieges waren in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands 28 Kirchen total und 70 schwer beschädigt worden. Durch den Strom der insgesamt 4,3 Millionen Flüchtlinge aus Schlesien, dem Sudentenland und Ostpreußen wuchs allein im heutigen Bistum Magdeburg innerhalb kürzester Zeit die Anzahl der Katholiken von 150 000 auf 600 000. "In Dörfern, die seit Jahrhunderten keinen Katholiken gesehen hatten, gab es auf einmal an die 100 bis 200 katholische Christen", erinnert sich der 1988 verstorbene Magdeburger Weihbischof Rintelen. In Dörfern wuchs innerhalb kürzester Zeit eine Gemeinde aus dem Nichts. Und die schon bestehenden vervierfachten sich. - Der Beginn des Kirchbaus in der ehemaligen DDR, der ein "Kirchbau in der Diaspora" war - wie es der Erfurter Ordinariatsrat Wolfgang Lukassek formuliert
Der Bürgermeister der Kleinstadt und der zuständige Baudezernent in Wittenberg mochten den jungen Vikar und kannten dessen Probleme. Deshalb vermittelte der Bürgermeister Herold das Grundstück der alten Landmaschinenfabrik: Dieser zögerte nicht und kaufte im Sommer 1955 den 25 000 Quadratmeter-Grund für 26 000 Ost-Mark. "Nun stand der schwierigste Schritt bevor: die Baugenehmigung für einen Kirchbau in einem Staat, in dessen ideologische und atheistische Grundauffassung Kirche und Gemeinde nicht paßte", sagt Herold. Da half wieder der Bürgermeister: "Wenn keine Kirche für die vielen Menschen gebaut wird, dann werden in nächster Zeit zumindest die jungen Leute in den Westen abhauen", erklärte er den zuständigen Kreisbehörden. Das wirkte: Die Baugenehmigung vom Rat des Kreises zum "Umbau einer Fabrikhalle zur Kapelle" kam. Die alte Fabrik wurde abgerissen, die Steine abgeklopft und die Bauträger wiederverwendet. Viele Gemeindemitglieder kamen noch vor ihrer Schicht um vier Uhr morgens und nach der Arbeit wieder. Denn hier galt, wie bei allen Kirchenbauten: Ohne die "Feierabendstunden" der Gläubigen hätte nirgendwo eine Kirche entstehen können
Doch bald reichten die Restbestände der Fabrik nicht aus. Wie viele andere geistliche Bauherren hatte Herold jedoch gute Kontakte zur Diözese Paderborn, zu dem das Erzbischöfliche Kommissariat Magdeburg vor der Teilung Deutschlands gehörte. Herold selbst kannte den damaligen Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger (1941 bis 1973), der den Bau mit "West-Mark" finanziell unterstützte. Das Geld tauschte Herold in Westberliner "Wechselstuben" eins zu fünf um und konnte mit den so erhaltenen "Ostmark" das Baumaterial bezahlen. Doch nicht nur das Bistum Paderborn unterstützte die Kirche. Vor allem das Bonifatiuswerk hatte bei zahlreichen Kirchen sein "Geld im Bau"
Doch trotz aller Unterstützung war die Beschaffung von Baumaterial sehr schwierig. Die Quellen - die sich innerhalb kürzester Zeit änderten - kannten die Pfarrer: Holz wurde bei den stationierten Russen besorgt; Zement, Sand und Steine konnte ebenfalls bei der roten Armee geholt oder in großen Mengen den privaten Firmen "unter der Hand" abgekauft werden. "Baumaterial zu beschaffen, war in dieser Zeit ein größeres Problem als an die Grundstücke heranzukommen", erinnert sich der Magdeburger Architekt Horst Kowallik. Entweder war das Land seit Jahren in Kirchenbesitz oder aber alte Leuten oder Menschen, die in den westlichen Teil Deutschlands gehen wollten, verkauften ihr Grundstück, um sich mit dem Erlös eine neue Existenz aufzubauen
Alle örtlichen Gegebenheiten zur Errichtung eines Gotteshauses wurden genutzt: Alte Turnhallen, Bierkeller, Tanzsäle, Wohnhäuser mit Lagerschuppen, ehemalige Schulräume, Ställe, Gasthäuser, Werkstätten, Güterwagen oder Garagen wurden durch Um-, Aus- oder Anbau in Kirchen und Kapellen verwandelt. Dabei wurde jedoch nie das Ziel des Bauvorhabens wahrheitsgemäß angegeben. "Jedes kircheneigene Gebäude erlebte zu meiner Zeit eine meist dramatische Baugeschichte", schreibt der damalige Kaplan in Wilsdruff (1952-1960) Hermann Scheipers
Überall wo eine Kirche gebaut wurde, mußten sich die Pfarrer etwas einfallen lassen; ohne Notlösungen oder Lügen wäre kein Stein auf den anderen gesetzt worden. Nirgendwo gab es ein einheitliches Muster: der eine hatte Glück mit den Behörden, der andere mußte sein Baugrundstück gerichtlich erkämpfen. In Oranienbaum wurde der Dachdecker mehrmals von der Baustelle vertrieben und in Tröglitz verschwanden die Baupläne im Kreisbauamt
Der Kirchenbau in den späten 50er Jahren war "gekennzeichnet durch ein Spannungsfeld zwischen dem politisch Möglichen und architektonisch und bautechnisch Machbaren. Dabei wurde zum großen Teil auf ein zeitgenössisches liturgisches Konzept verzichtet. In den frühen 60er Jahren "...machten dann Künstler, wie Zawadski, Preß, Grüger und viele andere aus den Noträumen der Nachkriegszeit mit ihren Bildwerken Kirchen und Kapellen", schreibt Wolfgang Lukassek. Wichtig war immer eine schnelle Fertigstellung der Kirche. Die Abhängigkeit von Baugenehmigungen, Baubilanzen und dem sich zu schnell verändernden Verhältnis von Kirche und Staat zwang den Bauherren so schnell wie möglich fertig zu werden. Ein Baustopp oder Verzögerungen bedeuteten oft das "Aus"
Deshalb warteten viele die Erteilung einer schriftlichen Baugenehmigung - vor allem für den zweiten Bauabschnitt: einen Glockenturm oder das Pfarrhaus - nicht ab und fingen einfach an zu bauen. Daß sie dadurch immer "mit einem Bein im Zuchthaus standen" - so drückte es Irmgard Volk, die damalige Pfarrhaushälterin des Tröglitzer Pfarrers, aus - bereitete nicht wenigen von ihnen schlaflose Nächte. Die meisten Entscheidungen und Planungen des Baus trafen sie selbst: aus Angst jemanden einweihen zu müssen und damit zu gefährden
Wenn dann herauskam, daß es sich nicht um die angegebene Pappbaracke oder provisorische Kapelle handelte oder der Rat des Kreises hinter den Bau ohne schriftliche Genehmigung kam, wurde nicht selten mit Schnaps, Zigaretten, einem guten Whisky oder Westgeld nachgeholfen. Außerdem kosteten die Kirchbauten den Staat keinen Pfennig, so daß viele einfach "wegguckten". Die obligatorische Baustrafe in einem solchen Fall betrug meist nur ein paar hundert Mark; gewöhnlich weniger als eine Baugenehmigung
Bis 1969 wurden in dem Gebiet der ehemaligen DDR 25 Kirchen wiederaufgebaut, 323 Kirchen neugebaut, 14 Baracken errichtet und 302 erneuert oder umgestaltet. Die Kirchbauten nach dem Krieg - so die Meinung der Pfarrer, die diese Zeit miterlebt haben - waren durch die Umstände der Zeit begünstigt: was in den 50er Jahren noch möglich war, wäre in den 60er Jahren undenkbar gewesen. "Gründe dafür waren sicherlich die in den Nachkriegsjahren noch nicht gefestigten Strukturen der DDR. Zusätzlich hatte der junge sozialistische Staat kein Geld; der Wiederaufbau kostete", so der damalige Schmiedeberger Vikar Herold. "1955 und 1956 setzte die große Enteignungswelle ein. In dieser Übergangsphase konnten die Betriebe oftmals keinen Lohn zahlen. Die darauffolgende Planwirtschaft sah Fünf-Jahrespläne vor. Resultat: die Arbeiter hatten in nächster Zeit keinen Auftrag. So war für viele die Schwarzarbeit die einzige Möglichkeit, ihre Familien ernähren zu können. Nach getaner Arbeit erhielten sie ihr Geld. Nachweise, Zettel oder schriftliche Vereinbarungen aus dieser Zeit gibt es deshalb so gut wie gar nicht", weiß Claus Herold über die Nachkriegswirren zu berichten
Doch nicht nur gesellschaftlich, auch politisch war diese Phase ein Glücksfall für den Kirchbau. Die Zeit von 1945 bis 1955 war gekennzeichnet durch den Verzicht der Kommunisten auf einen offenen Kirchenkampf. Besonders in der Zeit um den 17. Juni 1953 lockerte der sozialistische Staat seine Zügel in der Kirchenpolitik
Der Kirchbau in Bad Schmiedeberg ging schnell voran. Am 11. November 1955 feierte die Bad Schmiedeberger Gemeinde Richtfest und am 8. Dezember 1955 wurde die Kirche von dem damaligen Weihbischof Rintelen geweiht
Doch bald wurde Kirchbau immer schwieriger: Ab 1960 änderte sich die Struktur des Bauwesens grundlegend. Aus den privaten Baubetrieben wurden volkseigene, später industrielle Großbetriebe. Planung und Bilanzierung wurde immer mehr zentralisiert. Staatliche Organe entschieden über Planleistungen und Baukapazitäten. Bisher frei arbeitende Architekten wurden in volkseigenen Großunternehmen eingegliedert
In Leipzig wurde die Universitätskirche 1968 auf Anweisung von Ulbricht gesprengt. Und über Stalinstadt - die als erste sozialistische Stadt gelten sollte - sagte Walter Ulbricht: "In einer sozialistischen Stadt ist kein Kirchturm mehr nötig." In einem Antwortschreiben des damaligen Ministerpräsidenten Grotewohl auf einen Brief des Berliner Bischofs Julius Döpfner - der mehr Baugenehmigungen für die Kirche forderte - heißt es "Wenn die Regierung der DDR im zweiten Fünf-Jahresplan selbst den Bau von volkswirtschaftlich äußerst dringenden Gebäuden...zurückgestellt hat, um den nötigen Bedarf an Wohnraum zu befriedigen, dann sollten auch die Religionsgemeinschaften Verständnis für diese Maßnahmen haben.
Dieser Zustand änderte sich erst 1974: das Sonderbauprogramm wurde eingeführt. Kirchen konnten für Westmark gebaut werden. "Harte Devisen" besiegten die ideologische Auffassung des sozialistischen Staates
Katharina Funke
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 11.01.1998