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Damit sich niemand über den Tisch gezogen fühlt

Pfarrer Paul Christian aus Wittenberg zur Gebetswoche für die Einheit

Der Wittenberger Pfarrer Dr. Paul Christian, Ökumenebeauftragter des Bistums Magdeburg, äußert sich zur Gebetswoche für die Einheit

Entgegen mancher Unken-rufe bin ich der Meinung: Wir stehen vor einem Höhepunkt in der Entwicklung im Zueinander von katholischer und reformatorischer Kirche. Nach mühsamen und langwierigen Konferenzen, nach vielen Konsenspapieren theologischer Arbeitsgruppen könnte es in diesem Jahr zur Unterschrift der Kirchen (nicht der Arbeitsgruppen) unter die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre kommen. Einige Landeskirchen haben schon zugestimmt, eine Reihe lassen noch auf sich warten. Rom ist zur Unterschrift bereit

Die Lehre Martin Luthers von der "Rechtfertigung des Christen allein aus dem Glauben", die über Jahrhunderte als Haupttrennungsgrund galt, wird nun in präzisen Formulierungen als gemeinsame Lehre bestätigt. Was mit Rechtfertigung gemeint ist, sagt Luther z. B. in der 28. Heidelberger These: "Die Liebe Gottes findet nicht vor, sondern schafft sich, was sie liebt. Die Liebe des Menschen entsteht nur an dem, was sie liebenswert findet." Ähnlich formuliert hat es ein Aufkleber, den ein evangelischer Pfarrer beim letzten ökumenischen Pfarrerkonvent in Wittenberg empfahl: "Ich möchte so sein wie Gott mich haben will, weil Gott mich liebt als wäre ich´s schon." Wenn wir in Zukunft gemeinsam und verstärkt an diese Liebe Gottes glauben, geht es mit der Einheit der Kirchen schneller voran. Die "gemeinsame Erklärung" nennt aber auch die noch bestehenden Unterschiede. So betont z. B. die evangelische Seite: Die Kirche ist Empfängerin des Heiles; sie ist sündig. Die Katholiken sehen mehr die Kirche als Mittlerin des Heiles und die Heiligkeit der Kirche (im innersten Wesen und in den Heiligen). Das Neue ist nun, daß jede Seite erklärt: Wir bleiben zwar bei unserer Position, aber wir müssen auch ins Licht stellen, was die anderen sagen. Das bewahrt uns mehr vor Fehlern und Einseitigkeiten. Man nennt das das "Prinzip der Komplementarität". Das ist eine Regel, die in jedem Zusammenleben verständnisstiftend und produktiv ist. Aber zwischen den Kirchen wird sie noch zu wenig praktiziert

Eine ähnliche Straße ist der Austausch der Gaben. Jede Seite hat Geschenke des Heiligen Geistes erhalten und gepflegt: zum Beispiel die Liebe zum Wort Gottes oder die Liturgie und andere mehr. Was liegt näher als ein Austausch der Gaben! Eine Straße, die noch zu wenig begangen ist und nach meiner Meinung am schnellsten voranführt, ist die Begegnung von Christ zu Christ in der Weise, wie es sich Jesus ersehnt, wenn er sagt: "Ein neues Gebot gebe ich euch. Liebt einander, wie ich euch geliebt habe (Joh 13,34)"

Wo das in den kleinen Zellen des Miteinanders geschieht, da ist nach Mt 18,20 Jesus bereits mitten unter uns. Was gibt es für eine bessere Einheit? Chiara Lubich, die Gründerin der Fokolarbewegung, hat in diesem Sinne in England beim letzten ökumenischen Bischofstreffen und im Sommer bei der Ökumenischen Versammlung in Graz eine Spiritualität der Ökumene empfohlen. Sie sieht den Weg in die Zukunft in einer "Ökumene des (gemeinsamen) Lebens". Wenn wir den Weg der gegenseitigen Liebe gehen, geführt vom Wort Gottes, kommen wir schnell voran. Der Heilige Geist, der die Liebe und das Band der Einheit in Person ist, wird uns die nächsten Schritte zeigen. Es wird dann deutlich, wie die Einheit sein kann, ohne daß jemand sich über den Tisch gezogen fühlt

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 3 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 18.01.1998

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