am 2. September 1951
Damals...
Der Tag des Herrn berichtet über die Inthronisation des neuen Berliner Bischofs Wilhelm Weskamm. Weskamm war am 31. Juli 1951 in der St. Sebastianskirche in Berlin als Bischof eingeführt worden. Weskamm, 1891 in Helsen-Waldeck geboren, wurde 1914 zum Priester geweiht und war als Seelsorger in Paderborn, Merseburg und Magdeburg tätig. 1949 wurde er Weihbischof in Paderborn mit Sitz in Magdeburg. Bis zu seinem Tod 1956 war er dann Bischof von Berlin. Unter der Überschrift "Gott ruft - die Welt wartet" dokumentierte der Tag des Herrn damals Weskamms Inthronisationsrede, aus der wir hier einen Auszug wiedergeben
Besteht nun aber der ganze Sinn dieser Stunde nur darin, daß der neue Bischof gerufen wird, oder geht es nicht um mehr: um einen Ruf an die Kirche? Nicht nur der Bischof soll sein "Adsum" sagen, sondern die Kirche in dieser Welt muß sagen, daß sie bereit ist. Gott ruft die Kirche, daß sie da sei
Man kann darauf nicht einfach antworten, daß die Kirche doch immer da sei - seit ihrer Gründung. Es geht nicht darum, daß sie existiert, sondern es geht jetzt darum, daß sie ihre Sendung erfaßt, daß sie ganz von der göttlichen Botschaft erfüllt ist, daß sie selber lebendig ist im Dienste Gottes und der Brüder, daß sie hören kann und sehen und antworten und Leben bringen. Es geht darum, ob sie das, was sie ist und was sie kündet, in sich selber glaubwürdig macht, ob das Göttliche ihres Wesens durch alles Menschliche hindurchscheint und den Menschen sichtbar wird. Gott ruft seine Kirche immer wieder, und er weckt sie zu Zeiten auf. Vielleicht sind wir jetzt in einer solchen gnadenvollen Zeit göttlichen, lebendigmachenden Rufens
Es ist also die Frage, ob wir Christen in dieser Stadt und diesem Land und in dieser Zeit wach und übernatürlich bereit sind wie Gott es erwartet. Vielleicht ist es so, daß auch die Menschen - die Welt, wie Johannes sie nennt - wartende Menschen sind, viel mehr als sie es selber manchmal wissen. Unser heutiges Geschlecht wartet im Grunde auf seinen Gott, auf Gottes Leben, auf seine heilige, haltende Ordnung und auf sein heiliges Erbarmen
Darf ich ein paar Worte von diesem Warten sagen? Dieses Geschlecht wartet - bewußt oder unbewußt - auf Gottes volle, lebenfüllende Wahrheit. Es ist ja so durcheinandergebracht durch lauter Relativismen, durch Lehren und Meinungen, von denen die eine die andere ablöst, von denen jede etwas Wahrheit enthält, aber herausgerissen aus dem organischen Zusammenhange, weil losgelöst vom tragenden Fundamente, von Gott
Dies Geschlecht ist gefangen im Gefängnis der Diesseitigkeit und der absoluten Menschenbezogenheit. Der Mensch ist der Ratlosigkeit preisgegeben, er ist seiner vermeintlichen Sicherheiten beraubt und hat keine innere Heimat mehr. Er weiß nichts mehr. Er weiß nicht um seinen Anfang, er weiß nicht um sein Ende, er weiß nicht den Sinn seines Lebens, das dazwischenliegt. Hat nicht einer ausgerufen: "O ewiges Überall! O ewiges Nirgendwo! O ewiges Umsonst!"? O ewiges Umsonst - schaut dahinter nicht eigentlich die Verzweiflung hervor, welche man mit allen Worten und allem Betrieb nicht wegwischen kann
Wer kann nun sagen, ob dieser innerlich durch Generationen arm gewordene, ausgeraubte Mensch nicht doch schon wieder Wand an Wand mit seinem Gott ist, auch wenn er sich dessen noch gar nicht recht bewußt geworden ist? Auf jeden Fall ist dieses sicher: In dieses Warten hinein muß die Kirche die Gotteswahrheit tragen
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 18.01.1998