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Bistum Erfurt

Individualität contra Liebe und Solidarität

Sebastianstag im Erfurter Jugendhaus

Erfurt (ep) - Soll ich einen Arbeitsvertrag eingehen, der täglich zehn und mehr Stunden Berufsarbeit von mir verlangt? Muß ich für den Pfarrgemeinderat kandidieren, obwohl ich weiß, daß ich schon jetzt angesichts Berufsarbeit und weiterer Verpflichtungen kaum noch Zeit für meine Familie habe? Kann ich mich nur dann auf eine Partnerschaft einlassen, wenn ich mir verstandes- und gefühlsmäßig 100prozentig sicher bin? Fragen, die bei einem ganztägigen Forum im Rahmen des diesjährigen Patronatsfestes des Erfurter Jugendhauses St. Sebastian zur Sprache kamen. Thema des Forums: "Stehen Freiheit und Streben nach Individualität der Liebe und Solidarität untereinander entgegen?

Um den Sebastianstag gemeinsam zu begehen, waren am vergangenen Freitag bis Sonntag immerhin 54 Frauen und Männer (und drei Kinder) aus ganz Thüringen und darüber hinaus nach Erfurt-Hochheim gekommen. Sie alle waren als Jugendliche, ob sie heute 25 oder 60 Jahre alt sind, gern und oft im Jugendhaus. Zum Patronatsfest wollten sie sich wieder einmal gemeinsam an alte Zeiten erinnern und sich zugleich mit neuen Fragen beschäftigen. Unter den Teilnehmern waren neun Mitglieder des Sebastianskreises, einer festen Ehemaligengruppe des Jugendhauses, die sich mehrmals im Jahr trifft. Vertreten waren vor allem 20- und 30jährige und die Großeltern-Generation, während die mittleren Jahre fehlten. Als Gastreferenten und Gesprächspartner hatte das Vorbereitungsteam den Erfurter Moraltheologen Professor Josef Römelt eingeladen. Mit ihm gemeinsam ging es denn auch am Samstag schnell zur Sache

Die politische Wende hat trotz mancher kritikwürdiger Entwicklungen ein Mehr an Freiheit und individuellen Möglichkeiten, aber zugleich auch neue Zwänge gebracht, hob der Moraltheologe in seinem Impulsvortrag hervor. Römelt: "Die aus der Freiheit erwachsenen Chancen gilt es als wichtige Dimensionen der Entfaltung unserer je einzigartigen Existenz zu nutzen und sogar Anstrengungen dafür in Kauf zu nehmen.

So gebe es heute vielfältige Formen und Möglichkeiten bei der Gestaltung des Familien- und Berufslebens, der Freizeit und der Partnerschaft. Die verbreitete Haltung etwa, sich hinsichtlich von Partnerschaft und Ehe erst relativ spät oder gar kein endgültiges Ja-Wort zu geben, weil man sich nicht sicher ist, sei zunächst einmal ein begrüßenswertes Bemühen um eine große Ehrlichkeit. "Doch mit allen diesen Möglichkeiten sind neue Zwänge, Ängste und Überforderungen entstanden. Deshalb muß man davor warnen, die Freiheit zu romantisieren", so Römelt

Wer kann sich trotz noch so langen Wartens wirklich sicher sein, mit einem Partner ein ganzes Leben lang zusammen leben zu können? Ist dies nicht eine Überforderung? Oder: Geraten nicht angesichts der Fülle der beruflichen Möglichkeiten, aber auch im äußerst hart und risikoreich gewordenen Arbeitsalltag die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit immer mehr aus dem Blick? Oder: Werden die Familien heute nicht einer Zerreißprobe von unterschiedlichsten Ansprüchen ausgesetzt, die von außen an sie herangetragen werden, auch durch die Pfarrgemeinden? Gibt es nicht eine verbreitete Angst gerade auch bei Eltern, angesichts ihrer familiären Verpflichtungen im Leben zu kurz zu kommen? - Fragen, wie sie von Professor Römelt und im Gespräch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgeworfen und diskutiert wurden. Von der Brutalität in der Berufswelt war die da die Rede, von den Schwierigkeiten in der Familie, die Ansprüche aller einigermaßen unter einen Hut zu bringen, von den Problemen mit dem Engagement in den Pfarrgemeinden

Professor Römelt: "Christen werden gut beraten sein, wenn sie in ihren Lebensbereichen mit Schwierigkeiten rechnen. Sie werden deshalb den Mut aufbringen, Dimensionen der Wirklichkeit Gottes ins Spiel zu bringen, Dimensionen, die die Freiheit vielleicht einzuschränken scheinen, in Wirklichkeit aber Wege ins Leben öffnen. Denn das Leben ist nicht völlig planbar. Und es ist begrenzt. Erst in Erfüllung und Verzicht, Befriedigung meiner Wünsche und Leidakzeptanz kann ein Mensch zu einer Reife gelangen, die der Wirklichkeit des Lebens entspricht.

So sei es beispielweise "absolut notwendig", im Mühen um ein intaktes Miteinander in der Familie die Begrenztheit der Kräfte einzuplanen, sich die Frage zu stellen: Wo müssen wir uns als Familie einen Schutzraum schaffen, den wir uns durch keinerlei Ansprüche von außen nehmen lassen

Beendet wurde der thematische Tag des Patronatsfestes mit einem Thüringer Abend. Am Sonntag feierte die Gruppe mit Diözesan-Jugendseelorger Stephan Riechel gemeinsam Gottesdienst und versammelte sich anschließend zu einer musikalischen Matinee. Hier wurde auch nach einem Thema für den Sebastianstag 1999 gesucht. Dann soll es möglicherweise um die Frage gehen: Wie deutlich muß die Kirche soziale Mißstände in der Gesellschaft anprangern? In seiner jetzigen Form wird der Tag erst seit einem Jahr begangen. Vorher wurde er als Kirmes gefeiert. Seit das Jugendhaus aber 1996 eine richtige Kapelle bekam, wird der Kirchweihe gesondert gedacht

Wer als Ehemalige und Ehemaliger im nächsten Jahr Interesse hat, am Sebastians-Wochenende um den 20. Januar im Jugendhaus teilzunehmen, sollte sich im Jugendhaus St. Sebastian, Am Holzberg 7, 99094 Erfurt, Tel. 03 61 / 2 25 17 67 melden! Dann erhält er für 1999 eine Einladung

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 4 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.01.1998

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