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Bistum Magdeburg

"Gleichbehandlung der Katholiken ist überfällig"

Rat Ulrich Berger über den Staatsvertrag

Frage: Nach langen Verhandlungen ist der Staatskirchenvertrag für Sachsen-Anhalt endlich unterzeichnet. Welche Veränderungen zum Positiven erwarten Sie sich von diesem Vertrag

Berger: Gerade in den letzten Wochen vor Vertragsabschluß ist eine - zum großen Teil unverständliche - Skepsis gegen den Vertrag aufgekommen mit unzutreffenden Vermutungen und Kritik. Vom Vertragsabschluß erhoffe ich eine gewisse Beruhigung. Besonders gravierend scheinen mir die Vorwürfe, die katholische Kirche verstehe nichts von der Trennung von Kirche und Staat und wolle sich einmischen in weltliche Macht. "Warum muß Kirche in der Gesellschaft überhaupt vorkommen?", fragten viele, sicherlich geprägt von der Tatsache, daß sie in den 40 Jahren der DDR nicht vorkam. Wir nehmen die Trennung von Kirche und Staat sehr, sehr ernst. Trennung heißt aber nicht Feindschaft. Wir haben uns mit den Vertragspartnern geeinigt, offene Fragen und Probleme künftig in freundschaftlichem Geist zu klären. Hoffentlich überzeugen sich auch die Skeptiker davon, daß es uns nicht um ein Wiederaufleben des Mittelalters geht, sondern darum, den Auftrag Gottes mit unseren kleinen Mitteln zu erfüllen. Unsere große Hoffnung ist, daß Spezialseelsorge durch den Vertrag einfacher wird. Für Seelsorge in Justizvollzugsanstalten zum Beispiel gab es noch keine rechtliche Grundlage. Was bisher möglich war, hing vom ,good will' des jeweiligen Leiters der Einrichtung ab

Frage: Grundlage des Vertrages waren der Preußische Vertrag aus dem Jahre 1929 und das Reichskonkordat von 1933. Einige Kritiker bemängelten, daß man sich auf so alte Vertragswerke gestützt hat

Berger: Ein Volk ist nur verständlich in seiner Geschichte. In der Schule haben wir gelernt, daß der Arbeiter- und Bauernstaat ein absoluter Neuanfang sei. Die Zeit des Nationalsozialismus als trauriges Kapitel der eigenen Geschichte wurde damals komplett ausgeblendet. Einer solchen Geschichtslosigkeit werde ich nicht das Wort reden. Wir müssen uns der Verantwortung der Geschichte stellen. Wenn wir aus dem Gesetzessystem der Bundesrepublik alles streichen würden, was seinen Ursprung in anderen politischen Systemen hat, fiele damit manche geschätzte Grundlage weg. Den Vertrag, der im Dritten Reich abgeschlossen wurde, haben wir gründlich daraufhin durchgesehen, was überholenswert ist. Wenn uns unterstellt wird, gewisse Sympathien für Adolf Hitler zu hegen, kann ich das nur entschieden zurückweisen.

Frage: Die finanziellen Vereinbarungen stützen sich auf die Enteignung der Kirche zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Bei allem Sinn für Geschichte - Mitbürgern außerhalb der katholischen Kirche ist es schwer zu vermitteln, daß der Kirche nach so langer Zeit immer noch Entschädigungsleistungen gezahlt werden..

Berger: In den letzten Jahren ist doch sehr deutlich geworden, was eigener Grund und Boden wert sein kann. Wer ein eigenes Haus, einen eigenen Acker besitzt, wird dadurch kreditwürdig und kann mit dem Geld vieles tun, was andere nicht können. Das ist ein gutes Bild für die katholische Kirche: Im Reichsdeputationshauptschluß von 1803 wurden der Kirche Felder, Wälder, Gebäude und Klöster mitsamt der zugehörigen Landwirtschaft entzogen. Gleichzeitig wurde festgelegt, daß der Staat die Kirche für einen Teil ihrer Verluste durch jährliche Dotationen entschädigt

Die Kirche hätte ohne die Enteignung die Möglichkeit gehabt, aus dem Erlös ihres Besitzes ihre pastorale Tätigkeit zu bezahlen, Gehälter für Mitarbeiter in Pastoral und Caritas. Den Grund und Boden besitzen wir nicht mehr, und es hat auch nie eine große Ausgleichszahlung gegeben, so daß wir mit den Zinsen arbeiten könnten. Ohne die Dotationen müßten sich zum Beispiel die Pfarrer einen Zweitberuf suchen. Große Bereiche der Pastoral und der sozialen Dienste müßten aufgegeben werden.

Frage: Warum haben Sie keine "Sicherheiten" in den Vertrag eingebaut, zum Beispiel Sanktionen, die den Vertragspartner im Falle eines Vertragsbruches treffen? Wäre dies nicht eine naheliegende Lehre aus der Geschichte gewesen

Berger: Unsere "Sicherheit" ist die Freundschaftsklausel. Beide Partner verpflichten sich, bei Schwierigkeiten oder Unstimmigkeiten in freundschaftlichem Geist sofort die andere Seite zu konsultieren. Keine Seite kann einseitig Fakten schaffen und den Vertrag oder einzelne seiner Bestimmungen verlassen. Der Diözesanbischof wendet sich bei Auffassungsunterschieden sofort an die Landesregierung. Darüber hinaus sind turnusmäßige Gespräche festgelegt.

Frage: Der frühere Ministerpräsident Christoph Bergner (CDU) hat sich erstaunt gezeigt über das weitgehende Entgegenkommen, das Sie der Regierung gezeigt haben. Welches Zugeständnis tut der Bistumsleitung am meisten weh

Berger: Besonders bedauerlich finden wir, daß sich das Land noch nicht verbindlich zur Einrichtung einer Religionspädagogischen Ausbildung verpflichtet hat. Das Gesetz zur Einführung eines ordentlichen Lehrfaches Katholischer Religionsunterricht bleibt solange eine leere Worthülse, wie die Landesregierung nicht für entsprechende Studiengänge sorgt. Wir sind bisher bei der Weiterbildung zu Religionslehrern in Vorleistung gegangen. Der Staat stellt die Lehrer an, er hat den Unterricht eingeführt. Er muß die gesetzlichen Bestimmungen auch ausführen. Wir gehen davon aus, daß wir über diese Angelegenheit bald Abschlußverhandlungen führen können.

Frage: Offensichtlich hatten Sie es eilig, den Vertrag noch in dieser Legislaturperiode unter Dach und Fach zu bringen. Befürchten Sie, daß Sie nach den nächsten Landtagswahlen noch schlechtere Karten für den Vertrag haben würden

Berger: Wir wollen nicht das Orakel von Delphi spielen. Das Parteienspektrum war nicht ausschlaggebend für unsere Verhandlungsführung. Grund für die Eile war die Dringlichkeit etlicher Fragen, die der Vertrag beinhaltet: Spezialseelsorge muß endlich möglich werden. Finanzielle Verpflichtungen sollten für beide Seiten gleichermaßen verbindlich sein. Überfällig ist auch die Gleichbehandlung mit den anderen Religionsgemeinschaften (Der Vertrag mit der evangelischen Kirche ist bereits seit 1993, der mit der Jüdischen Religionsgemeinschaft seit 1994 in Kraft). Ein Mitgrund für einen schnellen Vertragsabschluß ist auch die zu Ende gehende Legislaturperiode. Eine neue Regierung, welche auch immer, müßte sich erst konstituieren. Eine neue Verhandlungskommission würde die Ratifizierungsdiskussion zum Teil von neuem aufrollen. Vieles schon Feststehende würde wieder in Frage gestellt. Auf dem Hintergrund notwendiger Regelungen wäre das ungünstig. Wenn jetzt gesagt wird: "Das gleiche Verhandlungsergebnis hätte man schon 1994 haben können", sage ich: "Klar, verpaßte und genutzte Chancen gibt es immer im Leben." Ich habe den Eindruck, daß beide Verhandlungsgruppen verantwortungsvoll versucht haben, das jeweils Mögliche zu tun. Wenn der aktuelle Vertrag - den Religionspädagogischen Lehrstuhl einmal ausgenommen - arge Defizite haben würde, hätte der Apostolische Stuhl mit Sicherheit nicht unterzeichnet. Die Atmosphäre zwischen den Verhandlungsgruppen war im übrigen durch alle Phasen der Verhandlung hindurch von Achtung und gegenseitigem Respekt bestimmt

Interview: Dorothee Wanzek

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 4 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.01.1998

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