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Aus der Region

Brückenschlag ins Leben

In Mühlhausen kümmern sich Caritas und der Verein "Lebensbrücke" um psychisch Kranke

Mittwoch nachmittag 14.00 Uhr. Soeben ist Martina Halbeisen zu Gerhard Ringleb in die Wohnung gekommen. Sie hat Kuchen mitgebracht und will mit ihm Kaffee trinken. Anschließend wird sie den 35jährigen beim Saubermachen unterstützen. Besonders dann, wenn es Gerhard Ringleb nicht gut geht, ist ihr motivierendes Wort und ihr tatkräftiges Mitzupacken eine wichtige Hilfe für den jungen Mann

Gerhard Ringleb ist psychisch krank. Doch dank des Engagements des Mühlhäuser "Lebensbrücke-Vereins" und der Caritas kann der 35jährige in eigenen vier Wänden mitten im Zentrum Mühlhausens wohnen und braucht nicht in einem Behindertenheim zu leben. Martina Halbeisen ist beim "Lebensbrücke-Verein. Partner für psychisch Kranke" angestellt und betreut Gerhard Ringleb. So wie der junge Mann werden in Mühlhausen 30 seelisch Behinderte im Rahmen des Betreuten Wohnens von drei Betreuerinnen begleitet. "Für uns ist es wichtig, daß wir mit Menschen in Kontakt sind, die Verständnis für uns haben", sagt Gerhard Ringleb

Der gelernte Werkzeugmacher arbeitete bis 1991 in einem Metallbetrieb. Seine Krankheit brach jedoch schon während seiner Zeit als Bausoldat 1988/89 aus. Gerhard Ringleb engagierte sich damals in der Kaserne sehr stark für einen sozialen Friedensdienst anstelle des militärisch ausgerichteten Bausoldatendienstes ohne Waffe - eine Aktivität, die den sensiblen jungen Mann seelisch stark belastete und den Ausbruch seiner Krankheit förderte. Nach einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik während der Armeezeit wurde er ambulant betreut. "Die Erkenntnis, jetzt bin ich psychisch krank, war erstmal ein Hammer", sagt Gerhard Ringleb. Dies anzunehmen, habe bis Sommer 1992 gedauert

Anfang 1992 lernte der aus dem eichsfeldischen Hüpstedt stammende Mann den Regenbogenkreis kennen, eine Selbsthilfegruppe psychisch Kranker, die schon seit Mitte der 80er Jahre unter dem Dach der Caritas in Mühlhausen besteht. "Mir wurde deutlich, daß es noch mehr Menschen gibt, die in einer vergleichbaren Situation sind", sagt der psychisch Behinderte. Über den Kreis bekam er auch Kontakt zum Lebensbrücke-Verein, der sich seit 1990 im Aufbau befand. So war zum Beispiel das Kontakt- und Kommunikationszentrum für psychsich behinderte Menschen im Entstehen. Gerhard Ringleb, der durch seine Krankheit gerade erneut für längere Zeit in klinischer Behandlung gewesen war und inzwischen keine Anstellung mehr hatte, arbeitete viel bei der Sanierung des Gebäudes für das Begegnungszentrum mit. Er half bei Malerarbeiten, schachtete den Heizungskeller aus, legte Fußbodenplatten... "Das war eine schöne Zeit", erinnert er sich. Parallel fanden in dem Zentrum die ersten Kaffeetreffs statt. "Heute ist diese für jeden offene Mittwochsrunde zur festen Institution der psychisch Behinderten geworden", sagt Caritas-Sozialarbeiter Thomas Wolff, der den Lebensbrücke e.V. maßgeblich mit aufgebaut hat und Gerhard Ringleb seit 1987 kennt. "Demnächst, wenn durch den geplanten Erweiterungsbau mehr Räume geschaffen sind, soll das Café täglich und auch noch stärker den Anwohnern offen stehen", so der Sozialarbeiter. "Ein Angebot, das helfen soll, Berührungsängste abzubauen und Menschen in ihrer Andersartigkeit zu tolerieren und zu akzeptieren." Mehrmals in der Woche gibt es ein Frühsücks- und Mittagstischangebot. In der Begegnungsstätte probt eine Sketchgruppe, werden Feste gefeiert und Wanderungen geplant. Hier trifft man sich zum Gedächtnistraining und zur Angehörigengruppe. Zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiterinnen helfen mit, daß all dies möglich ist. "Die Angebote sind eine wichtige Motivation für die seelisch kranken Menschen, regelmäßig aus ihrer Wohnung heraus- und in Kontakt mit anderen zu kommen", sagt Wolff

In Mühlhausen gab es schon zu DDR-Zeiten ein Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie. Wolff besuchte dort regelmäßig Patienten. Nach der Wende wurden dann mit Unterstützung von engagierten Ärztinnen und Psychologinnen der "Verein Lebensbrücke. Partner für psychisch kranke Menschen" ins Leben gerufen, der sich zum Ziel gesetzt hat, gemeindenahe Angebote für psychisch kranke Menschen zu schaffen

Gerhard Ringleb ist sehr froh darüber, daß er in der eigenen Wohnung leben kann. Er hat sie sich gemütlich eingerichtet. Dankbar ist er auch dafür, daß er durch den Lebensbrücke-Verein Kontakt zu Menschen in ähnlicher Situation fand: "Das ist ein Verdienst der Lebensbrücke, daß ich Freundschaften aufbauen konnte", sagt er. So lädt sich der 35jährige des öfteren Gäste ein, um mit ihnen in geselliger Runde zu kochen und gemeinsam zu essen

Martina Halbeisen, seine Betreuerin, muß an diesem Nachmittag noch zwei weitere Behinderte aufsuchen. Gerhard Ringleb ist froh, daß "Martina" wieder da war. "Daß immer wieder jemand zu mir kommt, ist Balsam für meine Seele", sagt er. Und: "Menschlichkeit ist das, was allein zählt." Eckhard Pohl

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 5 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 01.02.1998

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