Ein Inbegriff des Romantikers
Zum 200. Todestag Wackenroders
Wer heute meist spöttisch von "Herzensergießung" spricht, denkt wohl kaum daran, daß er sich damit auf einen Buchtitel bezieht, der so etwas wie ein Markenzeichen der deutschen Romantik geworden ist: "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" von Wilhelm Heinrich Wackenroder aus dem Jahr 1797
Der Dichter und Herzensfreund Wackenroders, Ludwig Tieck, hatte das Buch anonym herausgegeben. Es enthält Aufsätze über Kunst, einige Gedichte, Texte der Sehnsucht nach Italien und vor allem der Sehnsucht danach, ein ganz der Kunst geweihtes Leben führen zu können: "Wünsch ich mir doch kein glänzendes Glück dieser Erde; aber soll es mir nicht auch einmal vergönnt sein, dir, o heilige Kunst, ganz zu leben?
Es war ihm nicht vergönnt. Wackenroder wurde 1773 in Berlin geboren. Sein Vater war Geheimer Kriegsrat und Justizbürgermeister. Während des Siebenjährigen Krieges hatte er mit russischen Generälen der Besatzungsmacht verhandelt. Dem einzigen Sohn wollte er durch gründliche Ausbildung eine Karriere im Staatsdienst ermöglichen und bestand trotz dessen Abneigung auf dem Studium der Rechtswissenschaft
Bereits auf dem Friedenswerderschen Gymnasium in Berlin hatte Wackenroder Ludwig Tieck kennengelernt. Gemeinsam gingen sie 1793 zum Studium nach Erlangen, und gemeinsam unternahmen sie die berühmt gewordenen Reisen ins Fichtelgebirge, durch Franken und Bayern und später nach Dresden zur "Sixtinischen Madonna". Auf diesen Reisen bildeten sie jenes Kunst- und Lebensgefühl heraus, das lange schlechthin als romantisch galt. In Nürnberg bewunderten sie die mittelalterliche Stadt und standen an Dürers Grab. Auf Schloß Pommersfelden lernten sie süddeutsche Barockkunst kennen und sahen ein Madonnenbild, das damals für ein Gemälde Raffaels gehalten wurde. In Bamberg beeindruckten sie die auf Kaiser Heinrich II. zurückgehende Stadtanlage. Daneben erlebte Wackenroder im Bamberger Dom ein katholisches Hochamt, das zu einem Schlüsselerlebnis für ihn wurde. Aus Berlin kannte er lediglich ein dem Rationalismus verpflichtetes Christentum, das seinem Verlangen nach Transzendenz, Schönheit und seelischer Erhebung nicht gerecht wurde. Die Wiederentdeckung Albrecht Dürers und des Mittelalters als einer vermeintlichen Einheit von Kunst, Leben und Glauben sowie das Bekenntnis zur Kunst Raffaels wurden zu Grundlagen der deutschen Romantik. Jede echte Kunst wurde als "heilig" und "göttlich" verstanden, nicht nur eine mit religiösen Themen oder Absichten
Zu dieser "Kunstfrömmigkeit" kam, daß Tieck und Wackenroder auf ihren Wanderungen die Landschaft als Spiegelbild ihres inneren Erlebens empfanden. Zur Verklärung des Mittelalters trat die Vermenschlichung der Natur. Kunst und Natur seien "zwei wunderbare Sprachen, durch welche der Schöpfer den Menschen vergönnt hat, die himmlischen Dinge in ganzer Macht zu fassen und zu begreifen."1794 kehrte Tieck und Wackenroder nach Berlin zurück. Während Tieck von nun an sich ausschließlich der Literatur widmete, ging Wackenroder als Kammergerichtsassessor in den preußischen Staatsdienst. Daneben verfaßte er seine romantischen Bekenntnisse und rieb sich am Zwiespalt zwischen Dienst und Neigung auf. Tieck versuchte noch, den Vater umzustimmen, daß er dem Sohn eine künstlerische Existenz erlaubte. Vergebens. Noch nicht 25jährig starb Wackenroder am 13. Februar 1798 in Berlin an Nervenfieber. Tieck allerdings meinte, er sei "eigentlich fast an der Angst vor dem Examen" gestorben, "so sehr hatten ihn die Vorarbeiten dazu aufgeregt, weil er von Rechten gar nichts verstand". Wackenroder ist, wie später Novalis, zum Inbegriff des romantischen Jünglings geworden. Er steht am Beginn sowohl einer Romantisierung von Geschichte, Natur und Frömmigkeit als auch einer Vergöttlichung, einer Heiligung von Kunst. Die Kunst war heilig, und das Heilige war ihm Kunst
Jürgen Israel
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 08.02.1998