Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Bistum Görlitz

Fluchtpunkt zwischen Betonwänden

Jugendtreff "Offene Tür" in Hoyerswerda

Hoyerswerda - Klack. Klack. Ein letztes Mal: Klack. Nun ist für einen Moment Ruhe. Dann wieder dreimal Klack, Klack, Klack. "In letzter Zeit höre ich es fast den ganzen Abend. Immer drei Mal hintereinander, dann Stille und dann wieder genau drei Mal", erzählt die ältere Frau. Sie wohnt neben dem Jugendtreff "Offene Tür" in Hoyerswerda und hört allabendlich durch die dünnen Wände des Plattenbaus die neueste Lieblingsbeschäftigung der Jugendlichen: Dart-Spielen. Dabei klackt es jedes mal, wenn der Pfeil sich geräuschvoll in das gummiartige Material des schwarzen oder roten Kreises bohrt. Um der alten Frau nicht unnötig zur Last zu fallen, schlägt Kerstin Noack, eine der beiden Sozialarbeiterinnen der Jugendbegegnungsstätte, vor: "Wir könnten eine Gummiwand oder etwas Styropor dahinterkleben, damit das Geräusch etwas gedämpft wird." Die alte Frau winkt ab: "Ach, wenn ich jetzt weiß, was es ist...mich stören die jungen Leute ja nicht.

"Zu den Nachbarn haben wir ein gutes Verhältnis", erklärt Elvira Kämpfer, Leiterin des Jugendtreffs. Das sei auch wichtig, denn schließlich ist die "Offene Tür" in einer Dreiraum-Wohnung in einem Plattenbau, in dem sich ansonsten ganz normale Miet-Wohnungen befinden. "Zur Weihnachtszeit sind wir auch schon mal rüber gegangen, um uns ein Nudelholz zum Plätzchenbacken auszuborgen", sagt die Sozialarbeiterin

Akzeptiert sind die jungen Leute der "Offenen Tür" also zumindest hier in der Händelstraße 6, im Wohnkomplex 4 in Hoyerswerda. Die Jugendlichen, die zumeist aus sozial schwachen Familien kommen, sind zwischen 15 und 28 Jahren alt, wobei sie ab dem Alter von 13 Jahren hierher kommen dürfen. "In Hoyerswerda gibt es für Jugendliche fast gar keine Angebote. Viele von ihnen sind - wenn sie nicht noch zur Schule gehen - arbeitslos oder wissen, daß sie nach der Lehre nicht übernommen werden", berichtet Elvira Kämpfer. In Zahlen bedeutet das: ungefähr 80 Prozent der Jugendlichen aus Hoyerswerda sehen keine Zukunft; wissen, daß sie nicht gebraucht sind und daß eigentlich kein Platz für sie ist. - Platz ist zumeist auch zu Hause für sie keiner. Familien mit drei bis vier Kindern leben in einer kleinen Plattenbauwohnung. Elvira Kämpfer: "Da sind sie froh, wenn sie mal wegkönnen.

Die räumliche Enge der 55-Quadratmeter-Wohnung hier stört sie nicht: "Es gab schon Zeiten, da saßen wir zu 35 Leuten in der kleinen Wohnung." Aus diesem Grund hoffen Elvira Kämpfer und Kerstin Noack auf den Ausbau eines leerstehenden Gebäudes in der Nähe, in dem vorher ein Kindergarten war. Schräg gegenüber dem Kindertreff der Caritas würde die "Offene Tür" dann sein. Bisher sei es zwar erst ein "fast realisierter Traum", der "hoffentlich bald in Erfüllung geht". Dafür sind die Vorstellungen und Pläne für die Arbeit dort schon zahlreich. Elvira Kämpfer: "Beispielsweise planen wir ABM-Projekte für arbeitslose Jugendliche, die dann in dem ,größeren Treff' arbeiten könnten.

Momentan läuft auch der Jugendtreff in der kleinen Dreiraum-Wohnung gut. Mit der Zeit hat sich ein "fester Stamm" gebildet. Die Gruppe stützt sich, und sie unternehmen auch außerhalb der ,Offenen Tür' etwas zusammen." Aber auch Neue werden schnell aufgenommen und in die Gruppe integriert. "Jeder wird hier akzeptiert, wie er ist", erzählt Elvira Kämpfer

Die "Offene Tür" ist kein Club, der regelmäßige Veranstaltungen anbietet, dennoch gibt es auch Termine, die in dem familiären Treff auf keinen Fall versäumt werden sollten. So wird ein Geburtstag immer mit Kaffee und Kuchen gefeiert und auch Weihnachten und Fasching wird zusammen gefetet. "Manchmal organisieren wir auch eine Disco, da es in dieser Richtung in Hoyerswerda eigentlich gar nichts gibt", berichtet die 31jährige. Außerdem wird ab und zu auch eine gemeinsame Fahrt organisiert

Gegründet wurde der Jugendtreff "Offene Tür" am 19. Oktober 1993. Hintergrund waren die rechtsextremen Ausschreitungen in Hoyerswerda. Die beiden Ini-tiatoren - der damalige Görlitzer Bischof Bernhard Huhn und der Sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf - wollten für die in der "Trabantenstadt" lebenden Jugendlichen feste Angebote schaffen. Finanziert wird die "Offene Tür" mit ungefähr zehn Prozent vom Ordinariat Görlitz, der Haupteil liegt bei Stadt und Land. Aufgebaut wurde der Jugendtreff - der bis Ende 1997 in Trägerschaft der Jugendseelsorge Cottbus lag - von Ulrike Dießner. Ab ersten Januar diesen Jahres liegt die Trägerschaft in den Händen der Hoyerswerdaer Pfarrei "Heilige Familie"

Obwohl der Jugendtreff somit in enger Verbindung mit der Kirche steht, ist das Publikum zu 90 Prozent nicht konfessionell. "Wir versuchen jedoch den jungen Leuten ein Stück weit vorzuleben, was christliches Leben und Kirche für uns bedeutet", berichtet Elvira Kämpfer. Doch dabei bleibt es nicht: So wurden schon "einige Vorträge von Jugendseelsorgern bei uns angeboten". Auch bei den gemeinsamen Fahrten kommen sie mit Kirche in Berührung. Denn: "Wir nutzen häufig kirchliche Räumlichkeiten und Gemeindehäuser. Und wenn Jugendwallfahrt ist, fragen wir auch, ob sie nicht Lust haben mitzukommen." Auch wenn natürlich nicht alle diese Angebote genutzt werden: Auf dieser freiwilligen, ungezwungenen Basis setzen sich die Jugendlichen mit der Thematik Kirche auseinander... Und sie stellen Fragen. Katharina Funk

"Offene Tür", Händel-straße 6: Di-Do und freitags 14tägig von 13 bis 19.30 Uhr. Telefon: 035 71/ 40 55 04.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 6 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 08.02.1998

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps