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Aus der Region

Den Dialog suchen

Im Interview: Prälat Grande

Der Tag des Herrn sprach mit dem Dresdner Prälaten Dieter Grande, der die Arbeitsgruppe der Bischöfe der Region Ost zur Aufarbeitung der staatlichen Tätigkeit gegenüber der katholischen Kirche in der DDR leitete, über die Bilanz seiner Arbeit:

Die Tätigkeit Ihrer Arbeitsgruppe ist jetzt beendet. Wie geht es weiter?
In den einzelnen Bistümern gibt es Beauftragte, die alle jetzt erst zum Vorschein kommenden Akten auswerten werden. Mir ist aber etwas anderes sehr wichtig: Damit gesellschaftliche Versöhnung stattfinden kann, ist ein Dialog zwischen Opfern und Tätern notwendig. Es gibt zur Zeit in verschiedenen Kreisen die Diskussion, was jetzt der nächste Schritt ist. Für Deutschland war der Weg der Wahrheitsfindung durch Aktenerschließung sicher wichtig, gerade auf dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Aufarbeitung der NS-Zeit. Aber war es der einzig richtige Weg? Südafrika beispielsweise arbeitet seine Vergangenheit mit Wahrheitskommissionen"; auf. Tätern, die bei der Wahrheitsfindung helfen, wird Amnestie zugesagt. Das wäre auch hilfreich für viele IMs. Wenn sie mit ihren Führungsoffizieren konfrontiert würden, könnte sich zeigen, daß viele IMs Verführte waren. Sie haben aus Angst mitgemacht, und die Stasi hat ihnen Informationen entlockt, die ihnen heute mit Recht zur Last gelegt werden.
IMs also nicht nur als Täter, sondern auch in gewissem Sinne als Opfer?
Für mich bedeutet eine IM-Registrierung zunächst nur eine Ausgangsinformation. Mancher ist als IM registriert worden, nur weil die Stasi kein anderes Schubfach zum Speichern der von ihm gewonnenen Informationen hatte, etwa bei den kirchlichen Gesprächsbeauftragten. Viele andere IMs sind nur zum Teil wirkliche Täter. Zum anderen Teil in gewissem Sinne auch selbst Opfer des MfS-Systems. In der Öffentlichkeit führt eine IM-Registrierung meist zur Vorverurteilung, die dann oft sofort Konsequenzen hat, etwa die Entlassung eines Lehrers aus dem Schuldienst. Hier gibt es dringend Gesprächsbedarf.
Die wirklichen Opfer, etwa in Operativen Vorgängen bearbeitete Menschen, kommen in der Stasi-Diskussion kaum noch vor. Was hat Ihre Arbeit für sie gebracht?
Es ist schwierig, für die Opfer etwas zu tun. Das liegt zunächst an den gesetzlichen Grundlagen. Selbst im Rahmen der wissenschaftlichen Forschung können Opferakten nur mit Zustimmung der Betroffenen eingesehen werden. Einzelne sind nach ihrer Akteneinsicht zu uns gekommen und haben uns Einblick gestattet. Das war hilfreich, deshalb wissen wir um eine ganze Reihe solcher Vorgänge. Dem Opfer hilft aber eigentlich nur, wenn es mit dem Täter ins Gespräch käme. Und da stehen wir heute noch sehr hilflos da, denn die gesellschaftliche Mentalität spricht bislang gegen diesen Dialog. Die Opfer sind oft voller Vorurteile gegen ihre IMs. Und die Vorverurteilung eines IMs ruft bei diesem Abwehrreaktionen hervor. Das führt dazu, daß sie sich dem Gespräch verweigern.
Haben Sie die Hoffnung, daß ein solches Gespräch zustande kommt?
Zunächst ist jedes Gespräch, in dem es nicht sofort um Konfrontation geht, hilfreich. Für jeden sogenannten Täter ist es entlastend, wenn er überhaupt mit jemandem reden kann. Ich habe das oft im Gespräch gemerkt, auch bei Nichtchristen. Es ist aber eine christliche Erfahrung, daß erst Reue und Bekenntnis von der Last der Vergangenheit befreien. Ansonsten flüchten die Betroffenen in eine der vielen Formen der Verdrängung. Wir sollten uns für das Jahr 2000 ganz bewußt vornehmen, nach neuen Wegen zu suchen. Denn auch Menschen, die wirklich schuldig geworden sind, sollte eine neue Chance gegeben werden.


Das Interview führte Matthias Holluba.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 7 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.02.1998

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