Jede Menge Rüstzeug fürs Leben
Don Bosco Jugend-Werk
Burgstädt - "Wir sind ja alle eigentlich ganz normal hier", stellt David Hennig fest. Der 18jährige absolviert in Burgstädt eine Ausbildung als Bürokaufmann. David hat Asthma. Aufgrund dieser Erkrankung hat ihn das Arbeitsamt an das Don Bosco Jugend-Werk vermittelt. 360 Jugendliche mit einer nachgewiesenen Lern- oder leichten Körperbehinderung lernen hier einen von 14 staatlich anerkannten Berufen oder befinden sich in der Vorbereitungsphase auf eine Ausbildung. Die Heimatarbeitsämter der Jugendlichen entscheiden, wer für diese Förderung und berufliche Rehabilitation in Frage kommt. Das Arbeitsamt trägt dann auch die Ausbildungskosten
Ein Rundgang durch die Werksanlagen gleicht einer Rundreise durch die Berufswelt. Von der Maurerwerkstatt gelangt man in die Tischlerei, dann geht es an den Malern vorbei in ein Großbüro. In einem kleinen Übungshotel üben zukünftige Hotelfachleute und im Restaurant kellnern Restaurantfachkraft-Azubis. Acht bis neun Jugendliche werden von jeweils einer Ausbildungskraft angelernt. Zwei Tage in der Woche besuchen die Auszubildenden die Berufsfachschule
Das Jugend-Werk Burgstädt ist eine Einrichtung der Salesianer Don Boscos. Erklärte Aufgabe dieses Ordens ist es laut ihren Leitlinien, "Jugendliche bei der Bewältigung ihres Lebens zu unterstützen". Gemäß ihrem Ordensgründer, dem italienischen Priester Giovanni Bosco (1815-1888), engagieren sich die Salesianer für "arme, verlassene und gefährdete Jugendliche". So auch in Burgstädt: Der Salesianerbruder Reinhold Kurtz leitet zusammen mit Geschäftsführer Dr. Alexander Rößler die Einrichtung. Die beiden haben das Werk zusammen aufgebaut. Für Dr. Rößler ist es wichtig, "die Jugendlichen so anzunehmen, wie sie sind". Er freue sich über positive Rückmeldungen von Leuten, die ihre Ausbildung bereits beendet haben: "Es ist das Gefühl, ihnen geholfen zu haben, zur menschlichen Reife zu kommen.
Bruder Kurtz erzählt über seine Arbeit: "Wir wollen hier so nah wie möglich an der Realität dranbleiben." So absolviert jeder, der im Don Bosco Jugend-Werk ausgebildet wird, ein längeres Praktikum in Betrieben und bei verschiedenen Firmen, um den echten Berufsalltag kennenzulernen. Auch wenn die Jugendlichen sonst nicht in "echten" Betrieben arbeiten, bekämen sie in Burgstädt eine intensive, solide Ausbildung. Bruder Kurtz bildet als Malermeister selber Jugendliche aus
Die einzelnen Einrichtungen greifen sich gegenseitig unter die Arme: In der Küche kochen zum Beispiel Koch-Azubis für die anderen Lehrlinge und die Mitarbeiter das Mittagessen. Im Verkaufsladen der Werkstatt, in dem es von Lebensmitteln über Kosmetikartikel bis hin zu Holzarbeiten alles zu kaufen gibt, arbeiten künftige Verkäufer
Viele Ausbilder bestätigen die gute Ausbildung in Burgstädt. Jörg Straube bildet Tischler aus. Vorher war er in einem großen Betrieb Meister. "Hier kann man eine richtige Lehrausbildung machen", erklärt er. In anderen Betrieben seien Lehrlinge sonst immer "die Feuerwehr, die überall einspringen muß, wo es brennt". In Burgstädt gäbe es vor allem mehr Zeit. Vieles wird mehrfach erklärt, bis es jeder begriffen hat. Trotzdem sagt Straube: "Es bedeutet nicht, daß jemand mit einer Lernschwäche nicht gut arbeiten kann." Seine Lehrlinge seien genauso so gut, manche sogar besser als Azubis in der freien Wirtschaft
Malermeister Joachim Melzer findet seine Arbeit sinnvoll: "Hier kann ich für Jugendliche was tun." Ihm gefalle es, in einer christlichen Einrichtung zu arbeiten. Das Don Bosco Jugend-Werk ist eine katholische Einrichtung. Etwa die Hälfte der Mitarbeiter ist kirchlich gebunden. Bruder Kurtz sagt: "Wir sprechen nicht gerne von Katholiken und Evangelischen. Wir sind Christen." Viele Jugendliche kämen bei ihrer Ausbildung das erste Mal mit Kirche in Berührung. An der Wand des Speisesaals hängt ein großes, aber schlichtes Holzkreuz. Das christliche Symbol haben Tischlerlehrlinge angefertigt
Für viele Jugendliche ist die Einrichtung die einzige Möglichkeit, einen Beruf zu lernen. Ein Viertel von ihnen wohnt im angegliederten Internat, weil der tägliche Nachhauseweg viel zu weit wäre. Die 18jährige Chemnitzerin Yvonne Hoffmann ist im zweiten Lehrjahr. Die zukünftige Raumausstatterin repariert gerade einen Polsterbezug und erzählt von den Vorzügen ihrer Ausbildung: "Hier können wir das öfter wiederholen. Im normalen Betrieb wäre das nicht möglich.
Am Anfang sah sie das Don Bosco Jugend-Werk eher skeptisch: "Ich wollte nicht unbedingt hierher: schon allein wegen dem Wort ,Reha'." Bruder Kurtz bestätigt, daß viele Jugendliche nicht gern hören, daß sie wegen einer Lernbehinderung hier seien: "Ich sage immer, sie sind bloß schlecht in der Schule gewesen.
Den Mitarbeitern gefällt die freundliche Atmosphäre im Haus. Barbara Dussl bildet zukünftige Bürofachleute aus: "Wir gehen sehr gern zur Arbeit. Man wird hier bei Problemen angehört." Sie bildet in einer kleinen Übungsfirma aus. Auf engstem Raum sind alle Abteilungen einer Großfirma nachgebaut. Über den Essener Übungsfirmenring ist das Ausbildungsbüro mit anderen ähnlichen Einrichtungen verbunden
So bearbeiten die Azubis "echte" Post, schicken Mahnungen heraus oder beantworten geschäftliche Anfragen. Auch das Übungsbüro greift den anderen Abteilungen des Berufsbildungswerkes unter die Arme: Gerade rechnet Barbara Dussl mit Azubis des zweiten und dritten Lehrjahres die Krankenversicherungen aller 360 Jugendlichen ab. Sie erzählt auch von den Schwierigkeiten, nach der Ausbildung einen Arbeitsplatz zu bekommen. Zwar schreibe sie mit den Jugendlichen Bewerbungen, aber "im dritten Lehrjahr bereite ich sie auf die Arbeitslosigkeit vor", so Dussl
Das Jugend-Werk beschäftigt auch Sozialpädagogen, Ergotherapeuten und Psychologen. Dana Langer ist eine von ihnen
Die Psychologin hat jeden Tag einen ausgefüllten Terminkalender. Neben den Jugendlichen kommen auch Mitarbeiter zum Gespräch. Diese berate sie dann, "wie sie mit bestimmten Jugendlichen umgehen sollen". Oft erkläre sie dann auch, daß zum Beispiel "verbale Übergriffe" nicht persönlich gemeint seien. Die Jugendlichen kommen mit den verschiedensten Problemen zu ihr. Das reiche von Liebeskummer über Schulängste und Ärger mit den Eltern bis hin zu Problemen mit Gewalt oder fehlendem Selbstbewußtsein. Dana Langer glaubt nicht, daß die Jugendlichen, die in Burgstädt einen Beruf lernen, mehr psychische Probleme als andere haben. "Hier kommen sie nur eher auf den Tisch", meint sie
Trotzdem ist im Internat immer ein Notfalltelefon vorhanden. Jederzeit bekommt so ein Jugendlicher mit Problemen Beratung und Unterstützung. Einige kämen aus Problemfamilien. Das letzte Weihnachten war das erste, wo kein Jugendlicher über die Feiertage im Internat war. In den Jahren davor sind immer welche dageblieben. "Die konnten wir nicht ruhigen Gewissens nach Hause schicken", bestätigt Bruder Kurtz. Das Berufsbildungswerk befindet sich auch im sechsten Jahr nach der Gründung noch im Aufbau. "In diesem Jahr haben wir mit einer eigenen Berufsschule begonnen. Zwei Klassen werden wir ausbauen", so Alexander Rößler. So müßten die Lehrlinge nicht immer so weit zum Unterricht fahren. Bis jetzt lernen sie nämlich in Berufsschulen in Leipzig, Chemnitz, Limbach-Oberfrohna, Frankenberg und Oberlungwitz. Außerdem befindet sich ein Teil der Ausbildungswerkstätten in Dittersdorf
Alexander Rößler sieht seine Arbeit "als praktisch gelebtes Christentum". Für Bruder Reinhold Kurtz ist es wichtig, daß im Don Bosco Jugend-Werk "Jugendliche auch erleben, daß es lebenswert ist, Christ zu sein". Und ganz im Sinne von Don Bosco fügt er hinzu: "Wir sind für die da, die es notwendig haben, und suchen Wege, daß ihnen geholfen wird." Julia Kuttner
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.02.1998