Aus der Region
Kaum direkter Einfluß, aber wohl indirekter
Im Interview: Bernd Schäfer
Der Berliner Historiker Bernd Schäfer war wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsgruppe der Bischöfe in Ostdeutschland zur Aufarbeitung der Tätigkeit staatlicher und politischer Organe / MfS gegenüber der katholischen Kirche in der DDR. Die Kirchenzeitung sprach mit ihm über die jetzt vorgestellten Ergebnisse:
Welches Fazit der Tätigkeit der Arbeitsgruppe läßt sich ziehen? Wie sehr wurde die katholische Kirche von der Stasi beobachtet und beeinflußt?
Die Staatssicherheit hat sehr viel gewußt, aber wenig direkt beeinflußt. Die Beobachtung hat sich mit der Zeit ständig erhöht. In den 80er Jahren war sie stellenweise sehr dicht und flächendeckend. Dagegen gab es nur in wenigen Fällen eine direkte Beeinflußung. Allerdings darf der indirekte Einfluß nicht unterschätzt werden. Weil man von der Tätigkeit der Stasi wußte, kam es in der Kirche zu Selbstzensur und zu einer Vorsicht, die oft ein Eingreifen der Staatssicherheit nicht mehr nötig machte, weil die Kirche selbst auf bestimmte Dinge verzichtete.
Welche Ziel verfolgte die Stasi gegenüber der katholischen Kirche?
In den 50er und 60er Jahren ging es darum, positive Stellungnahmen der Kirche oder kirchlicher Vertreter zur DDR und ihrem politischen System zu erreichen. Sehr früh zeigte sich, daß das aussichtslos war. So wurde es als das kleinere Übel angesehen, daß es zu keinen negativen Stellungnahmen und politischen Aktivitäten der katholischen Kirche kam. Die Stasi hatte Angst, daß in der katholischen Kirche das passieren könnte, was in den evangelischen Kirchen passierte: Dort gab es zwar stellenweise sehr positive Äußerungen zur DDR. Gleichzeitig gab es sehr kritische Aktivitäten, die für die Stasi viel schwieriger zu beherrschen waren.
Mitte der 60er, Anfang der 70er Jahre traten in der katholischen Kirche einzelne Personen und Gruppen auf, die einen anderen, offeneren Umgang mit dem Staat wollten. Beispiele sind der Aktionskreis Halle";, viele Studentengemeinden und Akademikerkreise oder das, was im Umfeld der Pastoralsynode in der DDR stattfand. Diese Gruppen und Personen standen teilweise unter massiver Beobachtung und Bearbeitung durch die Staatssicherheit.
Mitte der 60er, Anfang der 70er Jahre traten in der katholischen Kirche einzelne Personen und Gruppen auf, die einen anderen, offeneren Umgang mit dem Staat wollten. Beispiele sind der Aktionskreis Halle";, viele Studentengemeinden und Akademikerkreise oder das, was im Umfeld der Pastoralsynode in der DDR stattfand. Diese Gruppen und Personen standen teilweise unter massiver Beobachtung und Bearbeitung durch die Staatssicherheit.
Welche Mittel und Methoden setzte die Stasi gegen die katholische Kirche ein?
Die Stasi hatte zwischen September 1958 und September 1959 in Jesuitenniederlassungen und verschiedenen bischöflichen Arbeitszimmern Wanzen installiert, die ihr sehr wichtige Erkenntnisse lieferten. Diese Wanzen mußten abgeschaltet werden, als in der Wohnung des Berliner Weihbischofs Bengsch eine neuinstallierte Wanze entdeckt wurde. Sehr unangenehm für die Stasi, denn dadurch, daß das im Westen bekannt wurde, schadete die Aktion dem Ansehen der DDR. Später dachte man noch einmal über Lauschangriffe gegen Bischöfe nach, aber es gibt keine Belege, ob es auch dazu gekommen ist. In den Wohnungen einzelner Geistlicher wurden aber auch später Wanzen verwendet. Ein krasses Beispiel ist der Operativer Vorgang Schild"; gegen das Oratorium in Leipzig: Zwischen 1969 und 1974 gab es dort eine Wanze, die der Stasi enorm viele Informationen lieferte. In den 70er und 80er Jahren hat die Stasi die Möglichkeiten der Funkaufklärung genutzt und beispielsweise Telefonsgespräche, die von Westberlin aus geführt wurden, abgehört. Die Anrufer ahnten das nicht.
Wegen der Schwierigkeiten mit technischen Mitteln mußte die Stasi auf inoffiziellen Quellen zurückgreifen. Bis zum Mauerbau gelang es ihr, einige wenige Personen aus dem niederen Klerus anzuwerben. Allerdings hatten diese meist wenig Einblick in interne kirchliche Vorgänge. Später gibt es sehr große regionale Unterschiede, je nach Fähigkeiten der Stasi-Offiziere. In einigen Städten und Bezirken hatte die Stasi ein dichtes IM-Netz aus Vertretern des niederen Klerus sowie der Laien und Personen, die auf die katholische Kirche angesetzt waren. Am dichtesten war das Netz in der Region Halle / Leuna / Merseburg. Hier saßen offensichtlich die raffiniertesten Stasi-Offiziere. Weniger fähig scheint die Stasi in Erfurt gewesen zu sein.
Wegen der Schwierigkeiten mit technischen Mitteln mußte die Stasi auf inoffiziellen Quellen zurückgreifen. Bis zum Mauerbau gelang es ihr, einige wenige Personen aus dem niederen Klerus anzuwerben. Allerdings hatten diese meist wenig Einblick in interne kirchliche Vorgänge. Später gibt es sehr große regionale Unterschiede, je nach Fähigkeiten der Stasi-Offiziere. In einigen Städten und Bezirken hatte die Stasi ein dichtes IM-Netz aus Vertretern des niederen Klerus sowie der Laien und Personen, die auf die katholische Kirche angesetzt waren. Am dichtesten war das Netz in der Region Halle / Leuna / Merseburg. Hier saßen offensichtlich die raffiniertesten Stasi-Offiziere. Weniger fähig scheint die Stasi in Erfurt gewesen zu sein.
Ab 1958 gab es für die katholische Kirche Gesprächsbeauftragte für die Kontakte zur Staatssicherheit. Wie sind diese Kontakte zu bewerten?
Die Kirche selbst hat diese Kontakte gesucht, weil die Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen die Kontakte zu Vertretern der Kirchenleitung, die ihren Wohnsitz damals in Westberlin hatten, abgebrochen hatte. Die Bischöfe hofften durch die Beauftragung alle Kontakte zur Staatssicherheit in einer Person zu zentralisieren. Das ging nicht auf, weil die Stasi weiterhin nicht ohne Erfolg nach inoffiziellen Quellen suchte. Der Erfolg für die Kirche besteht aber darin, daß es der Stasi kaum gelungen ist, tatsächlich konspirativ in die Kirchenleitungen einzudringen. Allerdings gibt es einzelne Fälle, in denen Gesprächsbeauftragte Dinge mit der Stasi besprachen, die nicht mit den Bischöfen abgesprochen sein konnten.
Die Stasi hatte ein großes Interesse, direkt mit kirchlichen Vertretern unter Umgehung anderer Staatsorgane zu sprechen, denn sie betrachtete sich als allen anderen vorgeordnet. Der Kirche hat sie signalisiert: Wir sind die eigentliche Macht. Wir können viel mehr für euch erreichen, als alle anderen. Von der Kirche war es einerseits klug, darauf einzugehen. Sie versuchte Vorhaben über die Stasi abzusichern. Hier wurde auch eine ganze Menge erreicht. Der Preis dafür war andererseits, daß die Stasi durch diese Gespräche an Informationen kam, an die sie sonst nicht gekommen wäre. Ihrerseits stattete die Stasi die Beauftragten gezielt mit Informationen aus, um bestimmte Vorgänge in der Kirche zu unterbinden. Da hieß es dann, daß Person X Dinge tut, die das Staat-Kirche-Verhältnis stören. Im Sinne der reibungslosen Beziehung wäre es doch sinnvoll, wenn das unterbleiben würde.
Die Stasi hatte ein großes Interesse, direkt mit kirchlichen Vertretern unter Umgehung anderer Staatsorgane zu sprechen, denn sie betrachtete sich als allen anderen vorgeordnet. Der Kirche hat sie signalisiert: Wir sind die eigentliche Macht. Wir können viel mehr für euch erreichen, als alle anderen. Von der Kirche war es einerseits klug, darauf einzugehen. Sie versuchte Vorhaben über die Stasi abzusichern. Hier wurde auch eine ganze Menge erreicht. Der Preis dafür war andererseits, daß die Stasi durch diese Gespräche an Informationen kam, an die sie sonst nicht gekommen wäre. Ihrerseits stattete die Stasi die Beauftragten gezielt mit Informationen aus, um bestimmte Vorgänge in der Kirche zu unterbinden. Da hieß es dann, daß Person X Dinge tut, die das Staat-Kirche-Verhältnis stören. Im Sinne der reibungslosen Beziehung wäre es doch sinnvoll, wenn das unterbleiben würde.
Gegen einige Beauftragte hat es den Vorwurf des Verrates gegeben. Was ist dazu zu sagen?
Die Vorwürfe sind in dieser Maasivität unhaltbar. Allerdings sind manche, bei weitem nicht alle Verhandler in ein gewisses Zwielicht gekommen, weil sie auch Interessen der Stasi in die Kirche hineintrugen. Es ist ein Problem, daß es zu wenig innerkirchliche kritische Begleitung dieser Kontakte gab und daß deren Brisanz oft unterschätzt wurde. Vor allem, wenn Beauftragte über viele Jahre verhandelten, konnten sie das teilweise unkontrolliert tun. Dabei muß man ihnen zugute halten, daß sich auch ihre Vorgesetzten offenbar wenig dafür interessierten. Wichtig war das Ergebnis, eher uninteressant, wie es zustande kam. Die Gespräche konnten so eine gewisse Eigendynamik gewinnen. In wenigen Ausnahmen kam es auch dazu, daß Beauftragte versuchten, über diese Kontakte ihre eigene Kirchenpolitik durchzusetzen. Wenn diese dann - wie etwa in den 80er Jahren im Bistum Berlin - nicht immer mit der des Bischofs übereinstimmte, gab es auch kritische Äußerungen der Beauftragten über ihre Vorgesetzten, was der Stasi dann Möglichkeiten der Differenzierung eröffnete.
Geregelt wurden alle Gespräche mit staatlichen Stellen durch innerkirchliche Erlasse. Was haben diese Erlasse bewirkt?
Zunächst hat sich die weit überwiegende Mehrzahl der Priester und kirchlichen Mitarbeiter daran gehalten. Die Erlasse mit ihren Gesprächsverboten haben auf jeden Fall Schlimmeres verhindert. Diejenigen, die dagegen verstoßen haben, wußten, daß sie damit gegen kirchliche Vorschriften handelten.
Gab es Fälle in denen Kirchenvertreter anderen geschadet haben?
In einigen Fällen lieferten Priester, vor allem aber Laien der Stasi Informationen über einzelne Personen meist aus deren Privatsphäre, die diesen schaden konnten. Eher selten war die Gefahr so groß, daß es zu Maßnahmen der politischen Strafjustiz hätte kommen können. Gelegentlich wurde das Risiko der Betroffenen von kirchenleitender Seite einfach privatisiert, indem der Stasi signalisiert wurde, daß diese Personen gewisse Dinge auf eigene Verantwortung unternähmen. Es ist hier aber sehr selten zu Verhaftungen und Prozessen gekommen, weil die Stasi Angst davor hatte, daß das öffentlich wird und so Märtyer geschaffen werden. Vor allem bei prominenten Gruppen wie dem Aktionskreis Halle, dem Friedenskreis Johannstadt, dem Friedenskreis Leipzig-Lindenau oder der Ökologie-Gruppe in Weißenfels, ist es zu keinen Verhaftungen gekommen, wohl aber zu handfesten Drohungen, Einschüchterungen und ";Zersetzungsmaßnahmen gegen einzelne Personen.
Was ist mit denen passiert, die schuldig geworden sind?
Es war nicht Aufgabe der Arbeitsgruppe, sich zu disziplinarischen Maßnahmen zu äußern. In den Diözesen ist das sehr unterschiedlich gehandhabt worden. Die Frage muß den Bischöfen gestellt werden.
Die Arbeitsgruppe hat alle Kontakte zu staatlichen Stellen untersucht. Welchen Stellenwert hatten denn andere staatliche Stellen im Vergleich zur Stasi?
Wir haben in dem Bericht bewußt alle staatlichen Stellen einbezogen und keine Unterschiede gemacht. Die Stasi selbst wollte eigentlich immer, daß alle Gespräche kirchlicherseits von einer Person geführt werden Abgesehen von den Jahren 1967 bis 1974, als in Berlin Otto Groß alle Kontakte wahrnahm, sind die Kontakte dort sonst immer von mehreren Personen wahrgenommen wurden. In magdeburg und Dresden sind beide Varianten festzustellen. Auch die Gespräche mit anderen Staatsorganen haben teilweise zu einem hohen Informationszuwachs bei staatlichen Stellen geführt.
Nach wie vor ist gelegentlich die Rolle der CDU in der DDR umstritten. Konnte sie eine eigene Kirchenpolitik machen oder war sie der verlängerte Arm der SED?
Die CDU-Führung glaubte wohl nur, sie würde eine eigenständige Kirchenpolitik machen. Tatsächlich war es eine Kirchenpolitik am Gängelband von SED und Stasi. Ein Beleg sind die zahlreichen Stasi-IM an CDU-Schlüsselstellen.
Die CDU besetzte ja die Stelle des Stellvertreters in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. Auch hier war ihr ab Mitte der 70er Jahre keine eigene Politik mehr möglich. Im Gegenteil: Mancher Stellvertreter entwickelte besondere Fähigkeiten in der Umsetzung der SED-Kirchenpolitik. So hat Hermann Kalb zwischen 1977 und 1989 mehr Schaden für die Kirche angerichtet als mancher Stasi-Führungsoffizier, weil es ihm gelang, ein gutes Verhältnis zu dem katholischen Beauftragten für die Gespräche zu entwickeln.
Die CDU besetzte ja die Stelle des Stellvertreters in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen. Auch hier war ihr ab Mitte der 70er Jahre keine eigene Politik mehr möglich. Im Gegenteil: Mancher Stellvertreter entwickelte besondere Fähigkeiten in der Umsetzung der SED-Kirchenpolitik. So hat Hermann Kalb zwischen 1977 und 1989 mehr Schaden für die Kirche angerichtet als mancher Stasi-Führungsoffizier, weil es ihm gelang, ein gutes Verhältnis zu dem katholischen Beauftragten für die Gespräche zu entwickeln.
Das Interview führten Matthias Holluba und Stephan Radig.
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 7 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.02.1998
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.02.1998