Offenlegung und Versöhnung
Erklärung der Bischöfe
Mit einer gemeinsamen Erklärung haben die Bischöfe der ehemaligen "Arbeitsgemeinschaft der Bischöfe der Deutschen Bischofskonferenz - Region Ost" jetzt zum Ergebnis der Aufarbeitung der Tätigkeit staatlicher und politischer Organisationen / MfS gegenüber der katholischen Kirche Stellung genommen. Die Arbeitsgruppe, deren Auftrag am 31. Dezember 1997 endete, hatte dem Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky - als früherem Vorsitzenden der ostdeutschen Bischöfe am 17. Dezember - ein Papier über ihre Ergebnisse übergeben
"Es hat keine Zeit in der Geschichte der katholischen Kirche in der SBZ/DDR gegeben, in der innerkirchlich bezweifelt wurde, daß die Kirche durch staatliche Organe, insbesondere durch das Ministerium für Staatssicherheit, beobachtet und kontrolliert wurde. Die Größenordnung dieser staatlichen Observation und die Art und Weise der versuchten Eingriffe in das kirchliche Leben mit dem Ziel der Durchdringung und Differenzierung der Kirche brachte erst in die Akten des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes und anderer staatlicher Organe der DDR zur Kenntnis
Für den Staat DDR war die bloße Existenz der katholischen Kirche Grund genug, sie zum Objekt gezielter Einflußnahme und Zersetzung zu machen. Das entschiedene Nein"; der Kirche zum Marxismus-Leninismus, der die geistige Grundlage des von der SED geführten und kontrollierten Staates war, stand bis zum Ende der DDR nie außer Frage und hat das Verhältnis Staat - katholische Kirche bestimmt
Schon frühzeitig gab es seitens der Bischöfe Anweisungen und Erlasse, die das Verhalten von Priestern und hauptamtlichen Mitarbeitern gegenüber staatlichen Stellen und dem Ministerium für Staatssicherheit regelten und die genannten Personengruppen zur Einhaltung bestimmter Weisungen verpflichtet
Für Gespräche mit staatlichen Organen wurden ausdrücklich Beauftragte benannt. Kontakte unserer Kirche mit dem MfS waren bewußt auf bestimmte, eigens dazu beauftragte Personen beschränkt. Erst die offengelegten Akten machten das Ausmaß an Belastung und Gefährdung deutlich, denen diese Personen ausgesetzt waren
Die bisherigen Untersuchungen anhand staatlicher Akten haben ergeben, daß sich die Bischöfe in der Regel auf ihre Geistlichen und Mitarbeiter verlassen konnten. Es hat sich freilich auch gezeigt, daß einige sich nicht an die Vorgaben der Bischöfe gehalten haben. Es gab Priester und Laien, die auf Gesprächsangebote eingingen, aus unterschiedlicher Motivation heraus einen Weg der Annäherung suchten, begrenzte Zugeständnisse machten oder sogar aktiv mit dem MfS zusammenarbeiteten. Es ist deutlich geworden, daß es auch in unserer Kirche menschliches Versagen und Schuld im Umgang mit der SED-Diktatur gegeben hat
Die Bischöfe haben nach dem Ende der DDR alle Priester, Diakone und hauptamtlichen Mitarbeiter aufgerufen, ihre Kontakte zum MfS zu offenbaren. Einige haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Anderen mußte ihr Fehlverhalten erst durch die Konfrontation mit MfS-Akten vor Augen geführt werden, ehe sie bereit waren, solche untersagten Kontakte zuzugeben. Nicht in jedem Fall gibt es Einsicht, Bekenntnis von Schuld, Reue und Zeichen der Wiedergutmachung. Aufgrund der unterschiedlichen Situation in den einzelnen Bistümern wurden verschiedene Aufklärungsmaßnahmen über mögliche Verstrickungen mit dem MfS und anderen staatlichen und politischen Organen der DDR unternommen. Sie reichten von der Regelüberprüfung aller Priester, Diakone und hauptamtlichen Mitarbeiter oder der Überprüfung bestimmter Gruppen von Mitarbeitern bis zur freiwilligen Überprüfung einzelner. In allen Fällen, in denen Verdachtsmomente vorlagen, wurde eine Prüfung über die Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) und eine Einsicht in die entsprechenden Unterlagen angestrengt. Auf gesamtdeutscher Ebene wurde für die Beurteilung solcher Vorgänge ein Vorprüfungsausschuß der Deutschen Bichofskonferenz eingerichtet
Ergänzend zu diesen Maßnahmen der Bistümer wurde im Frühjahr 1993 eine Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung der Tätigkeit staatlicher und politischer Organisationen/MfS"; gebildet, die ihre Arbeit im Dezember 1997 beendet hat. Die Aktivitäten des Staates und seiner Organe gegen die katholische Kirche wie auch die Versuche, Priester und Laien abzuschöpfen"; oder für eine Mitarbeit zu gewinnen, konnten in erheblichem Umfang offengelegt werden. Der unterschiedliche Grad der Vernichtung von Akten des MfS in Berlin wie in den verschiedenen früheren DDR- Bezirksstädten, der bisherige Erschließungsgrad durch die Behörden der BStU sowie die unterschiedlichen Formen der Überprüfung in den Bistümern lassen freilich keine abschließenden Bewertungen der untersuchten Sachverhalte zu. Wenn künftig ergänzende Erkenntnisse aus den Aktenbefunden zutage treffen, werden sich die einzelnen Bistümer damit befassen
Es bleibt festzuhalten, daß durch die unerlaubte Zusammenarbeit einzelner Geistlicher und Laien mit dem MfS und anderen staatlichen und politischen Organen kirchliche Dienstvorschriften verletzt wurden. Dieses Fehlverhalten einzelner hat in der Folge, wie sich jetzt zeigt, Schaden angerichtet und Mißtrauen gesät. In den betroffenen Gemeinden und Einrichtungen entstanden Gerüchte, Unsicherheit und mancherlei Verwirrung. Die Schuld von Menschen läßt sich nicht allein durch das Offenlegen von Akten aufarbeiten";. Es bedarf der Schuldeinsicht und der Umkehr jener, die versagt haben oder schuldig wurden, sowie Vergebung derer, die Unrecht erlitten haben. Es hat sich aber auch gezeigt: Nur durch eine differenzierte Beurteilung jedes Einzelfalles kann zur Wahrheitsfindung beigetragen werden. Der Austausch der jetzt vorliegenden Erkenntnisse und deren Bewertung im gemeinsamen Gespräch mit beziehungsweise zwischen den betroffenen Personen hat sich als geeigneter Weg zur Bewältigung von Versagen und Schuld und deren Folgen erwiesen. Wir bitten alle, die jetzt mit eigenem und fremden schuldhaften Verhalten in der Vergangenheit konfrontiert werden, solche Gespräche zu suchen, die sowohl Offenlegung möglichen Unrechts als auch Vergebung und Versöhnung zum Ziel haben. Dazu bieten wir auch weiterhin unsere Hilfe an
Wir danken allen Priestern, Diakonen und Laien, die trotz aller Bedrängnis und persönlicher Nachteile in großer Treue ihren Dienst getan und den Verlockungen staatlicher Angebote sowie Erpressungsversuchen widerstanden haben. Ihnen ist es zu verdanken, daß die katholische Kirche in der Zeit der DDR für viele ein Ort der Freiheit, der Zuflucht und Geborgenheit war und auch Vertrauen verdient."
Georg Kardinal Sterzinsky, Erzbischof von Berlin | gez. Bischof Joachim Reinelt, Dresden |
gez. Bischof Joachim Wanke, Erfurt | gez. Bischof Rudolf Müller, Görlitz |
gez. Bischof Leopold Nowak, Magdeburg | gez. Weihbischof Norbert Werbs, Schwerin |
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.02.1998