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Bistum Dresden-Meißen

Der Staat braucht die Kirche

Akademie

Dresden - Zusätzliche Stühle mußten in den großen Saal des Propst-Beier-Hauses getragen werden, so stark war das Interesse am Thema "Wieviel Kirche braucht der Staat", zu dem die Katholische Akademie Dresden eingeladen hatte. Die Erwartungen des so zahlreich erschienenen Publikums richteten sich an Hans Joachim Meyer, der als Staatsminister und Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in Personalunion schon durch diese Ämter prädestiniert für diesen Vortrag schien

Hans Joachim Meyer stellte eine provokante Frage an den Anfang: "Kann die Kirche als Institution einer Minderheit von Menschen für die Institution, die alle vertritt, überhaupt Bedeutung haben?" Um sich dann dem Thema nähern zu können, drehte der Minister die Frage zunächst um: "Kann der Staat für sich alleine existieren?" Die Geschichte zeige, daß dies kaum möglich sei, sondern der Staat einer Ergänzung durch externe ethische und moralische Werte bedürfe

"Unsere Demokratie ist ein Verfahrensrecht, das Bürgertugend voraussetzt. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung muß durch ethische Haltung positivgefüllt werden- und dazu braucht der Staat die Kirche", so der Minister. Natürlich gelte: Kein Staat sei nur von Christen bestimmt. Aufklärung, Liberalismus, Sozialismus oder atheistischer Humanismus bildeten zusammen eine Schnittmenge, den Wertekonsens aus Gemeinsinn, Verantwortung und Mitmenschlichkeit. Meyer rief die Zuhörer zum eigenen Engagement auf: Für diesen Wertekonsens müsse man ständig streiten und die Position des Christentums deutlich machen

"Bei der Wende schien klar: Der Staat bedarf unabhängiger Werte- auch christlicher." Pfarrer an den runden Tischen und die vielen Versammlungen in Kirchen hätten dies deutlich gemacht. Aber auch jetzt dürfe es keinen Rückzug der Kirchen geben. "Als Christ sollte man sich zum Öffentlichkeitsanspruch des Christentums bekennen, sonst kann es keine christliche Einwirkung auf den gesellschaftlichen Grundkonsens geben", beharrte Meyer

Mit Blick auf die aktuelle Diskussion um die Schwangerenberatung meinte er, der bei vielen Christen immer noch als fromm geltende "Rückzug in die Nische" lasse immer auch die Gegner der Religion triumphieren. Vehement bestritt der CDU- Politiker Meyer, daß man aus dem Christentum ein bestimmtes politisches Programm ableiten könne. In allen Parteien gebe es Christen, auch die Christenheit sei ja durch Konfession und verschiedene Denkrichtungen schon in sich pluralistich

Als Antwort auf die anfangs gestellte Frage zog Meyer eine positive Bilanz: Auch als Minderheit gehöre die Kirche für den Staat zu den wichtigsten Quellen. "Das Grundgesetz hat das Verhältnis von Staat und Kirche sinnvoll geregelt mit den Hauptelementen der prinzipiellen Trennung und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit." Wie steht es aber um die Kirche selbst - wieviel Staat braucht die Kirche? Dieser Frage ging Rolf Raum vom Oberlandesgericht Dresden nach

Er wollte dem gerade bei vielen Ostdeutschen verbreiteten Eindruck entgegentreten, nach der harten Trennung zwischen Staat und Kirche in der DDR gebe es nun eine zu starke Verquickung der beiden Institutionen. Raum beschrieb das Verhältnis als Gratwanderung: "Eine große Nähe zum Staat kann zum Verlust von Eigenständigkeit und Profil führen, bei allzu großer Entfernung vom Staat vergibt die Kirche aber auch viele Chancen." Als Beispiele führte Raum den Religionsunterricht an Schulen, die theologischen Fakultäten an Universitäten sowie die Militärseelsorge an. Er komme zwar aus Bayern , das für eine "Unterscheidbarkeit von Kirche und Staat bekannt" sei, halte aber insgesamt das einzigartige deutsche Staatskirchenrecht für das optimale System. Trotz grundsätzlicher Trennung habe auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die christlichen Kirchen als wesentliche kulturelle Kraft des Abendlandes bei der Bildung von Werten eine hervorgehobene Rolle im Staat spielen sollten. Diese "wechselseitige Zugewandtheit" von Kirche und Staat nutze beiden. Das soziale, kulturelle und pädagogische Angebot der Kirchen sei gleichzeitig Entlastung und positive Konkurrenz für den Staat. Im Gegenzug erhalte die Kirche staatliche Förderung. Die Kirchensteuer, oft Kritikpunkt für zu enges Verhältnis von Staat und Kirche, verteidigte Raum: Dies sei ja keine Steuer des Staates, sondern ein "Mitgliedsbeitrag mit Erhebungsprivilegien"

Das derzeitige System habe einen Synergieeffekt: Der Staat nutzt die ohnehin vorhandene Verwaltung und verdient noch daran; die Kirche spart den immensen Aufwand einer separaten Erhebung. Wie sein Vorredner war das Fazit Raums durchweg positiv: "Die Kirche genießt heute einen historisch einmaligen Freiraum bei weitgehender Förderung." Christian Saadhoff

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 7 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.02.1998

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