Demokratie braucht Werte von Religion, Philosophie, Kunst
Dialog
Erfurt - "Der Gesprächskreis hat ein hohes qualitatives Niveau erreicht", befand Johanna Arenhövel, Abgeordnete des Thüringer Landtags (CDU). Und Justizminister Otto Kretschmer (SPD) empfindet den Kreis "als notwendigen und wichtigen Ausgleich für das oft ermüdende Einerlei des täglichen Dienstes"
Erneut trafen sich auf Einladung von Ordinariatsrat Winfried Weinrich, dem Leiter des Katholischen Büros in Thüringen, und seinem evangelischen Amtskollegen Kirchenrat Jürgen Bär, Evangelischer Beauftragter beim Thüringer Landtag, frak-tionsübergreifend Abgeordnete des Thüringer Landtags zum Gespräch. Mit dem Erfurter Moraltheologen Professor Dr. Josef Römelt hatte man einen ausgezeichneten Referenten und Gesprächspartner gewonnen. Und das Thema seines Referats "Gefährliche, kostbare Freiheit. Zur theologischen Kritik der demokratischen Idee" hatte es in sich
Mit seiner theologischen Kritik wolle er nicht demokratieskeptische Gefühle nachkommunistischer Nostalgie oder demokratiefeindliche Ressentiments aufgreifen, stellte Römelt zu Beginn seines Vortrages klar, sondern notwendige Differenzierung und konstruktive Kritik leisten. Das entscheidende Problem für ein theologisches Wirk-lichkeitsverständnis der demokratischen Idee liege bei einer "totalisierenden Dynamik dieser Idee", wie Römelt es ausdrückte, also in der Ausschließlichkeit, mit der heute vom formal demokratisch gesuchten Konsens eine humanisierende und befreiende Wirkung für alle sachlichen und geistigen - also auch moralischen und weltanschaulichen - Probleme erwartet werden. Etwa nach dem Motto: "Wenn man abgestimmt hat, dann ist das Problem auch gelöst. Daß dem nicht so sei, beweise die aktuelle Diskussion um die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. De-mokratie erscheine zunehmend als ein sich selbst integrierendes und selbstgenügsames gesellschaftliches System, dem sich alle Lebensbereiche - auch Ethik und Religion - zur Sicherung von Freiheit und Humanität zu unterwerfen hätten
Doch es gebe eine "theologische Ergänzungsbedürftigkeit" der demokratischen Tugenden, damit der demokratische Prozeß sein Gegengewicht bekommt, so der Professor. Deshalb müsse gesichert sein, daß es in der Gesellschaft eine starke Basis gibt, an der gelebte moralische und ethische Normen ausgebaut werden. Römelt: "Die Demokratie braucht deshalb starke Kirchen", die ihr dieses Gegengewicht verleihen. Gegenwärtig stehe die Beziehung zwischen gesellschaftlich pluralen Weltanschauungen und Grundwerten, zwischen Voraussetzungen demokratischer Verfassung und konkreten Inhalten demokratischer Kultur, zwischen dem Unab-stimmbaren und dem je neu zu suchenden Konsens in der Gesellschaft wieder in Frage
Man könnte pointiert formulieren, so Römelt: "Demokratische Kultur als politische und gesellschaftliche Lebensform kann nur gelingen, wenn die unabhängigen Sinnquellen der Freiheit an der gesellschaftlichen Basis in ihrer Autonomie beachtet werden. Diese unabhängigen Sinnquellen sind besonders die Utopien der Kunst, philosophische Interpretationen von Glück, religiöse Verheißungen von Erlösung und Heil. In der Auseinandersetzung dieser gesellschaftlichen Kräfte, die sich zwar selbst ins plurale Gespräch unter Wahrung der Regeln demokratischer Gesellschaft einbringen müssen, aber eben nicht im bloßen Mechanismus mehrheitlicher Verhältnisse aufgehen, erschließt sich das, was jenseits eines bloß formellen Konsenses den ,Fundus gemeinsamer Grundauffassungen' bildet.
Im Anschluß an das Referat waren sich die Anwesenden darin einig, daß ein Rückzug auf eine weltanschauliche Neutralität die komplexen Probleme der modernen Industriegesellschaften nicht lösen kann. Beim Rückzug auf eine "Minimalethik", wie sie derzeit in den westlichen Gesellschaften erfolge, drohe die Demokratie zu einer rein funktionalen und regulativen Staatsform zu degenerieren. Der Konsens demokratischer, pluralistischer Gesellschaft müsse wieder in "die Rolle des Empfangenden" geraten - unter anderem auch gegenüber der christlichen Glaubens- und Überzeugungsgemeinschaft. Die Kirchen müßten weiterhin die Begleitung der demokratischen Kultur aus christlichem Sinnwissen leisten, denn erst dieser Dienst versetze die demokratische Idee über ihre formalen Institutionen in die Lage, ihrerseits Zielvorgaben zu machen. Die Kirchen mit ihrem christlichem Sinnwissen können Wertvorstellungen an die Rechtsgemeinschaft herantragen, damit diese menschlich bleibt. C. Kießwetter / td
Das Vortragsmanuskript "Gefährliche, kostbare Freiheit - Zur theologischen Kritik der demokratischen Idee" ist im Internet über www. kath. de/bistum/erfurt/aktuell/1998/ef980129.htm abzurufen
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.02.1998