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Bistum Görlitz

Der Exot im Klassenzimmer

Religionsunterricht

Hoyerswerda - Er sieht nicht aus wie ein Exot. Er trägt weder ein Baströckchen, hat keine außergewöhnliche Frisur oder Haarfarbe noch weisen andere äußerliche Merkmale darauf hin. Dennoch bezeichnet sich Peter-Paul Gregor als einen Exoten. Besonders unter seinen Kollegen in der Schule sei er nach eigenen Aussagen sogar nach sechs Jahren immer noch einer

Zu einem Teil hängt diese Bezeichnung sicherlich mit dem Fach, das er unterrichtet, und seinem Titel Pfarrer zusammen. In den fünf Schulen, in denen Pfarrer Gregor Religion erteilt, sei er das "Sprachrohr der Kirche": "Was über die Medien oder durch eine andere Art und Weise über Kirche zu den Leuten vordringt, muß ich hier in der Schule übersetzen. Das letzte war das Laienpapier und der Streit um die Schwangerschaftskonfliktberatung." Er sei immer gefordert und müsse sich schon am Abend vorher überlegen, was er sagt und wie er es erklärt. Die Leute interessieren sich für Kirche - das weiß Gregor. Dennoch belasten Negativschlagzeilen, so daß immer wieder ein Negativdenken über die Kirche zu diesem Interesse hinzukommt. "Vor allem der Papst hat einen schweren Stand", weiß er aus Erfahrung

Von heute auf morgen wurde Pfarrer Gregor - der zuvor Kaplan in Wittichenau war - 1992 vom damaligen Bischof Bernhard Huhn als Religionslehrer in die "Schulen dirigiert". Was damals ein Sprung ins kalte Wasser war, bezeichnet der heutige Religionslehrer aus Leib und Seele als "kluge Entscheidung des Bischofs". Zur Zeit unterrichtet er an vier Gymnasien und einer Mittelschule in Hoyerswerda. Daß er dabei noch nie eine eigene Pfarrei betreute, scheint ihn nicht zu stören. Für den 43jährigen, der mittlerweile über 18 Jahre mit Jugendlichen arbeitet, sind die Schüler seine Gemeinde

Anstrengend sei das Arbeitsleben trotz aller Leidenschaft für diese Aufgabe dennoch. Der vollzeitbeschäftigte Religionslehrer muß nach eigener Aussage jonglieren können: physisch und psychisch. Das heißt nicht nur zwischen den Schulen zu pendeln. Auch gegen das "Punkten" anzukämpfen, hat sich Gregor zum Ziel gesetzt. "Die Schüler sehen Religion als ein ganz normales Fach an, von dem sie zwei Halbjahre für das Abitur einbringen müssen. Waren die ersten beiden Halbjahre gut, kann es sein, daß sie das letzte Jahr vollkommen schleifen lassen", erzählt er über die schon vorprogrammierten Konsequenzen des sächsischen Schulsystems, das der Beauftragte für Schulfragen im sächsischen Teil des Bistums Görlitz kritisiert. Jonglieren kann aber ebenfalls für Pfarrer Gregor bedeuten, daß sowohl Schüler, Eltern als auch Lehrer Rat und Hilfe bei ihm suchen. Als "Seelsorge in den Pausen" bezeichnet er die Beratung mit den Eltern, die Probleme der Schüler oder eben die ganz "normalen" Lehrer-Schüler-Schwierigkeiten

Als Gregor anfing, in den Schulen Religion zu unterrichten, stieß er bei vielen Leuten auf Unverständnis. Denn: "Schule war für diejenigen, die die DDR erlebt hatten, etwas ganz Schlimmes. Viele wollen die berühmte Schwelle nicht übertreten." Sogar von seine Mitbrüdern "wehte ihm aus Unverständnis ein harter Wind entgegen. Oft hörte er in der Anfangszeit, daß Religionsunterricht in der Schule die Kirchen leere. Darauf gab es für Gregor nur ein Argument: "Zwei Drittel würden auch so nicht mehr kommen. In Brandenburg sind die Jugendstunden auch nicht voll.

In Sachsen müsse die Schüler zwischen Ethik und Religionsunterricht wählen. "Für den katholischen Religionsunterricht entscheiden sich jedoch sehr wenige. Und wenn Katholiken, dann sind sie größtenteils keine praktizierende Katholiken." Während des Unterrichts vermeidet Peter-Paul Gregor es, die Schüler an die Kirche heranzuführen. Obwohl er meist der letzte Kontakt zur Kirche ist, weiß er, daß es fatal wäre, die Schüler missionieren zu wollen. "Die Jugendlichen reagieren sehr sensibel darauf. Sie wollen hier eine andere Welt erfahren." Was für die jungen Leute gilt, trifft auch bei den etwas Älteren zu: "Die Menschen empfinden Kirche allgemein als etwas Interessantes und Unbekanntes, von dem sie sich jedoch nicht vereinnahmen lassen wollen. - Ist ja auch kein Wunder. Schließlich haben die Leute im Ostteil Deutschlands noch nie in einer Demokratie gelebt und wollen und müssen erst einmal damit umgehen lernen.

Während seiner Stunden werden Pfarrer Gregor - der sich selbst als "Frontarbeiter" bezeichnet - oft kritische Fragen gestellt. Er weiß, daß er diese ernst nehmen muß und sich auf keinen Fall als "verlängerter Arm des Papstes" darstellen sollte. Die Schüler wollen ein langsames Hinführen, Erklärungen und Begründungen zu diesen Fragen." Dabei sei es leichter, bei Ungetauften negativ geprägte Kirchenbilder zu entrümpeln; die seien noch nicht so festgesetzt. Grund für Auseinandersetzungen sei die Auffassung von Kirche, die ihren Vertrauenscharakter nach der Wende verloren hat und nun von Negativ-Schlagzeilen geprägt sei. Gerade aus diesem Grund sei er froh, daß an den Schulen, die er kennt, "nicht über, sondern mit der Kirche geredet wird"

Ein Wunsch für seine Arbeit als Lehrer hat er: "Ich will weiter fragwürdig bleiben und provozieren können. In der Praxis ist das nur möglich, wenn ich im Glauben fest verankert bin. Welcher Pfarrer bekommt schon gesagt, daß seine Sonntagspredigt Mist war. Die Schüler merken sofort, wenn ich nicht substanziell erzähle; dann bohren sie sofort nach." Leicht sei das nicht immer. Man müsse dazu auch ein Stück Humor mitbringen, sonst schaffe man es nicht. "Denn Jammern und traurige Gesichter helfen nichts.

Eine weitere Beobachtung Gregors ist, daß der geistige Verlust unter den jungen Leuten enorm sei. "Am Anfang habe ich noch ganz anderen Unterricht machen können. Der Grund für den fehlenden Enthusiasmus während des Unterrichtes liegt in der Perspektivlosigkeit. Die Jugendlichen wissen, daß sie die Lehrstelle oder den gewünschten Studienplatz nicht bekommen." Obwohl er sich mit diesen Problemen beschäftigt, hat er keine Zeit, sich anderweitig für diese Sache zu engagieren. Denn neben dem Job in den Schulen widmet er sich noch diversen anderen Aufgaben: So bietet er Kurse und Bildungsabende, die sich entweder mit biblischen und philosophischen Fragen sowie mit Israel - wo er regelmäßig hinfährt - beschäftigen. Außerdem schreibt er Glaubensartikel für die hiesige Presse und hält Predigten in der Wittichenauer Pfarrgemeinde, in der er lebt

Dadurch kommt Peter-Paul Gregor mit den verschiedensten Leuten in Kontakt. Er sammelt Eindrücke, Erfahrungen und bildet sich daraus unter anderem auch seine Meinung zur Kirche: "Ich wünsche mir von der Kirche, daß sie wegkommt von Begriffen, die keiner versteht. Die Sprache sollte wohlwollender, gleichzeitig aber auch fordernder werden. Die Bischöfe sollten endlich wach werden. Man sollte die Kirche als etwas Bereicherndes erleben können. Die gegenseitigen Vorurteile müssen abgebaut werden. An Themen sollte man richtig rangehen und Dolmetscher sein für die seelischen Analphabeten. Viele meiner Mitbrüder sind kleingläubig und sehen nicht die Chancen, die ihnen von Gott gegeben sind. Vor allem aber sollte die Kirche die Kunst des Zuhörens entwickeln.

Für diejenigen, die die Ansichten von Peter-Paul Gregor nicht teilen oder unterstützen wollen, zitiert der Pfarrer nur einen Satz: "Wer sich mit der Welt beschäftigt, kriegt schmutzige Hände. - So ist es nun einmal!

Katharina Funke

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 7 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.02.1998

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