Kirchen sollen kritische Begleiter sein
Empfang für Politiker
Magdeburg (epd / dw) - Der Vorsitzende der deutschen katholischen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, hat an die Kirchen appelliert, "kritische Begleiter und Wächter" in Staat und Gesellschaft zu sein
Nur so sei zu gewährleisten, daß "die sittlichen Maßstäbe und Grundwerte des menschlichen Zusammenlebens" in einer pluralen Gesellschaft "nicht unter die Räder kommen", betonte der Mainzer Bischof am 3. Februar beim Jahresempfang der beiden großen christlichen Kirchen für Parlament und Regierung in Sachsen-Anhalt. Als Maßstab bei der Beurteilung von politischen Entscheidungen nannte er an erster Stelle die Menschenrechte
In seinem Vortrag zum Thema "Die Zeugniskraft des christlichen Glaubens im gesellschaftlichen Ringen um einen Wertekonsens" warnte er die Kirchen ausdrücklich davor, sich gettohaft in Nischen zurückzuziehen, "vornehme" Distanzierung gegenüber Staat und Gesellschaft zu pflegen oder in die "Nestwärme" der Gemeinden zu flüchten. Sie sollten die Freiheit für ein "öffentliches gemeinschaftliches Bekenntnis des Glaubens, die Möglichkeit eines eigenständigen Zeugnisses inmitten der säkularen Welt und die Freiheit des Andersseins gegenüber dem Druck gesellschaftlicher Konventionen" nutzen. Eine Beschränkung auf die Ebene der Grundwerte allein käme nicht zum Kern des christlichen Glaubens als Botschaft von der Erlösung und vom Heil
Andererseits dürften sie sich aber weder vom Staat noch von anderen Gruppen zu "ethischen Stabilisatoren der Gesellschaft oder gar zu Handlangern des Staates" degradieren lassen, auch wenn sie den Auftrag und die Möglichkeit hätten, "geistige und moralische Orientierung zu leisten", erklärte Lehmann. Die Kirchen hätten in der Gesellschaft keine "Monopol-Verpflichtung" für die Sorge um die Grundwerte. Sie dürften sich auch nicht mit "schallmeiartigen Verlockungen in die Rolle des einzigen Garanten der Moralität in der säkularisierten Gesellschaft drängen lassen", fügte er hinzu
In seinem Grußwort unterstrich Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) den "unschätzbaren Beitrag" der Kirchen zur Wertevermittlung. In Zeiten des Umbruchs und der Reformen in vielen Lebensbereichen sei die Stimme der Kirchen auch in weltlichen Dingen wichtig und notwendig. Zur Diskussion um die Schwangerschaftsberatung der katholischen Kirche sagte Höppner, er hoffe auf eine Lösung, durch die die Beratung mit gleicher Qualität wie bislang weitergeführt werden kann. Landtagspräsident Klaus Keitel (CDU) würdigte insbesondere die Bemühungen der Kirchen in Sachsen-Anhalt um ökumenisches Miteinander. Dringenden Handlungsbedarf mahnte er bei der Einführung des Religionsunterrichtes an Schulen an. Nur drei Prozent der Schüler des Landes besuchten evangelischen, nur 0,2 Prozent katholischen Religionsuntericht
Zu dem Empfang hatten die Magdeburger Bischöfe Axel Noack und Leo Nowak sowie der anhaltische Kirchenpräsident Helge Klassohn (Dessau) und der Braunschweiger Landesbischof Christian Krause eingeladen
Unter den Gästen waren zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik, Kirche und Gesellschaft, darunter zahlreiche Vertreter des Landtags, der Landesregierung und der Gewerkschaften sowie Repräsentanten der Jüdischen Gemeinden und der Universitäten in Sachsen-Anhalt.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.02.1998