Kirchensicherheit
Manche Diebe mögen sogar Messwein
Erfurt/Dresden/Görlitz - Sie sind zwar nicht übermäßig häufig, kommen aber doch immer wieder vor: Straftaten in Kirchen. Die Polizei zählt im Freistaat Sachsen immerhin zwischen hundert und zweihundert Diebstählen pro Jahr, überwiegend in größeren Städten wie Leipzig oder Dresden. Von 1996 bis 1999 wurde allein im Raum Görlitz 80-mal auf kirchlichem Gelände geklaut. In der Heiligenstädter Propsteikirche riss vor drei Jahren jemand sogar den ganzen Tabernakel samt Inhalt aus der Wand heraus.
Laut Wolfgang Lukassek, Leiter des Bischöflichen Bauamtes im Bistum Erfurt, gibt es verschiedene Arten, sakrale Räume vor Langfingern zu schützen: Zunächst seien organisatorische Fragen zu klären. Zum Beispiel müsse bekannt sein, wer den Schlüssel für welche Tür besitze. Wichtig sei auch, die Kunstwerke in einer Kartei zu erfassen, damit Kirchengemeinde und Ordinariat überhaupt wüssten, welche Wertstücke sich in den einzelnen Gotteshäusern befänden, und Diebe diese im Falle des Falles nicht weiterverkaufen könnten. Die Polizei empfiehlt zudem, die Kunstgegenstände schätzen zu lassen und eventuell Nummern einzufräsen oder andere Kennzeichen anzubringen, damit gestohlene Objekte wiedererkannt und beim Auffinden zugeordnet werden können.
Im Bistum Dresden-Meißen ist bisher nur ein Teil der Kunstschätze erfasst worden, die Diözese Erfurt hat ihre Dokumentation abgeschlossen. 14 Jahre dauerte es, bis der Kunsthistoriker Dr. Rolf-Günther Lucke Aufnahmen und genaue Beschreibungen von den rund 15 000 Hochaltären, Deckenfresken, Gemälden, Statuen, Tabernakeln und Sakralgegenständen im ganzen Bistum fertig hatte (wir berichteten). Von den Karteikarten liegt nun je ein Exemplar im Ordinariat und in der Pfarrei. Außerdem existiert eine digitale Version des Verzeichnisses. Mit Hilfe dieser Dokumentation erkannte Lucke vor einem Jahr beispielsweise ein Muttergottesbild wieder, das 1995 aus dem Nordhäuser Dom entwendet worden und schließlich als Ikone getarnt bei der Polizei in Göttingen gelandet war.
Eine "ganz große Rolle" spielten bei den knapp 300 Kirchen und Kapellen im Bistum Erfurt mechanische Sicherheitsvorkehrungen, erläutert Lukassek. Dazu zählen nach Auskunft der Kriminalpolizei Einlegebalken und Schließbleche bei Türen, aber auch einbruchhemmende Fenster oder eine dünne Sicherheitsfolie, die innen am Oberlicht einer Kirche klebt und den Innenraum schützt, wenn Steine oder Brandflaschen gegen das Glas geworfen werden.
Grundanliegen ist Lukassek zufolge die "offene Kirche". Sie stehe zwar dem Sicherheitsgedanken "diametral gegenüber", dennoch seien ihr "alle sicherheitstechnischen Überlegungen unterzuordnen". Oft würden deshalb sichere Schlösser und Türbänder oder Fenstergitter angebracht, weil diese im liturgischen Raum weniger stark zu spüren seien.
Bei Kirchen mit vielen kleinen wertvollen Kunstwerken könne eine Art Windfang aus Glas am Haupteingang eine Lösung sein - gerade, wenn kein Pfarrhaus neben der Kirche stehe oder kein Pfarrer mehr in der Gemeinde lebe. In diesem begrenzten Foyer im Kircheninneren könnten Informationen über den Kirchenbau und Gemeindeveranstaltungen ausgelegt werden. Ferner ließe sich ein Andachtsraum für Menschen schaffen, die in Stille beten möchten.
Die beste Möglichkeit, die gesamte Kirche offen zu lassen, sei jedoch, nur ein einzelnes Stück zu sichern. In Frage komme diese Variante vor allem dann, wenn die übrigen Kunstwerke in einem Gotteshaus nur geringen Wert hätten, erläutert Lukassek. Über elektronische Kontakte wird bei dieser Form der Absicherung zum Beispiel Alarm ausgelöst, wenn jemand versucht, eine Heiligenfigur von der Wand abzunehmen, oder die Vitrine, in der sie steht, einschlägt. Allerdings ist laut Lukassek beim Sichern religiöser Kunstwerke darauf zu achten, dass sich Kirchenbesucher nicht wie im Museum fühlen. Zudem sei zu überlegen, wohin der Alarm geschaltet werden könne.
Wenn ganze Kirchenräume elektronisch überwacht würden, bestehe die Gefahr, dass Katzen oder größere Vögel Fehlalarm auslösten. Kommt die Polizei oder ein privater Sicherheitsdienst dann umsonst zur Kirche, hat der Eigentümer die Kosten dafür zu tragen. Außerdem sei der Einbau einer solchen Anlage meist nur in Zusammenhang mit einer Kirchensanierung möglich, da die Leitungen unter dem Putz liegen müssten.
Am meisten Kopfzerbrechen bereiten Lukassek allerdings die rund 250 Bildstöcke und Wegkreuze, die vor allem im Eichsfeld ungeschützt im Freien stehen. Sie zu sichern, sei fast unmöglich, glaubt er, - und appelliert deshalb an Kirchgänger und Anwohner, die Augen offen zu halten. Gerade auf dem Land, so Lucke, fielen beispielsweise fremde Autokennzeichen leicht auf, da in einem Dorf einer den anderen kenne. Oft würde das Verschwinden von sakralen Kunstwerken aber erst nach einiger Zeit bemerkt. "Jeder Pfarrer müsste eigentlich jeden Tag in seine Kirche gehen", meint Lucke deshalb, "und gucken, ob alles noch da ist."
Kriminalhauptkommissar Harald Wenske, der bei der Polizeidirektion Görlitz die Inspektion Prävention leitet, rät Geistlichen außerdem, sich zu überlegen, wo sie in ihre Kirche einbrechen würden. So könnten sie schnell Schwachstellen wie etwa unbeobachtete Fenster herausfinden.
Kirchen, die offen gehalten würden, müssten auch personell abgesichert sein. Es reiche nicht aus, nur das Tor aufzusperren, erklärt Udo Plihal, der beim Landeskriminalamt Sachsen für versicherungstechnische Fragen zuständig ist. Außerdem sollten Pfarrer auch dann das Pfarramt abschließen, wenn sie nur für kurze Zeit weggingen - nicht zuletzt wegen der alten Kirchenbücher, die häufig dort aufbewahrt werden.
Die Kriminalpolizei empfiehlt zudem, den Klingelbeutel nach der Kollekte gleich sicher zu verwahren. Pressesprecher Lothar Hofner betont: "Ob in der Kirche, auf dem Weg zur Kirche oder danach: Es gelten die gleichen Grundsätze wie sonst auch." Dass Diebe vor allem das wollen, was sie unmittelbar umsetzen können, ist im Landeskriminalamt hinlänglich bekannt. Die Palette reiche bis hin zu so skurrilen Dingen wie Messwein, der gleich an Ort und Stelle getrunken werde, berichten die Polizeibeamten.
Karin Hammermaier
Das Landeskriminalamt Sachsen, Derzernat 201, Neuländer Straße 60, 01129 Dresden, Telefon (03 51) 8 55 22 14, berät Kirchenvorstände in Sicherheitsfragen kostenlos und erstellt Pfarreien auf Wunsch eine individuelle Schwachstellenanalyse. Gemeindemitglieder können sich auch direkt an die kriminalpolizeiliche Beratungsstelle der zuständigen Polizeidirektion wenden.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.02.2001