Therapeutisches Klonen (1)
Was ist eigentlich
Derzeit gibt es in der Bundesrepublik eine Diskussion über die Zulassung des therapeutischen Klonens und damit vermeintlich verbundene neue medizinische Chancen. Nicht zuletzt auf dem Hintergrund der erst kürzlich geänderten Gesetzgebung in Großbritannien und den bestehenden Möglichkeiten etwa in den USA haben sich Mitglieder der Bundesregierung dahingehend geäußert, die strenge deutsche Gesetzgebung, die das Klonen verbietet, lockern zu wollen. Der Erfurter Moraltheologe Josef Römelt erläutert in einem zweiteiligen Beitrag für den Tag des Herrn die Problematik und bezieht aus katholischer Sicht Position:
Auch heute - zu Beginn des 21. Jahrhunderts - gibt es Krankheiten, denen der Mensch mit all seiner Technik hilflos gegenübersteht. Die Parkinsonkrankheit (im Volksmund: "Schüttellähmung") oder die Osteoporose - eine Zerstörung der Knochen , die bis zur Gehunfähigkeit führen kann und Patienten an den Rollstuhl bindet - sind solche Leiden. Es ist verständlich und überaus wichtig, dass medizinische Forschung nicht aufgibt, diese Krankheiten zu bekämpfen, ihre Ursachen zu ergründen und ihre Auswirkungen zu lindern.
Auf der Suche nach Linderung solcher Leiden hat die moderne Medizin nun ein Verfahren ins Auge gefasst, das mit dem Begriff der Zellersatztherapie umschrieben wird. Dabei geht es um eine Technik, bei der Menschen gesunde und vor allem sehr wachstumsfähige Zellen (Stammzellen) in den Körper eingeführt werden. Diese sollen bei komplizierten degenerativen Krankheiten helfen Das sind Krankheiten mit körperlichen Abbauerscheinungen, deren Ursachen nur zum Teil bekannt sind und für die deshalb zurzeit wenig Chancen auf eine hilfreiche Behandlung bestehen.
Stammzellen sind dazu fähig, im menschlichen Organismus erkranktes Gewebe durch gesundes zu ersetzen. Behandlungen mit Stammzellen bieten offenbar die Möglichkeit, dass diese Zellen sich an verschiedenen Stellen eines kranken Organismus einfügen und entweder das Wachstum von Gewebe oder die Produktion lebenswichtiger Substanzen wieder anregen.
Zellersatztherapie funktioniert nicht nur mit Stammzellen. Bei der Einbringung von Beta-Zellen aus der Bauchspeicheldrüse Verstorbener in die Blutbahn Zuc-kerkranker etwa - dabei muss der Kranke eine ähnliche Immunausstattung wie der Spender aufweisen - finden diese Zellen ihren Bestimmungsort in der Bauchspeicheldrüse des Wirtsorganismus. Dort stabilisieren sie die Produktion des Insulins, das im menschlichen Körper den Zuckerhaushalt kontrolliert. Ohne dass hier schon sichere Erfolgsaussichten vorausgesetzt werden dürfen, ließe sich für manche Probleme eine ähnlich erfolgreiche Medikation mit Hilfe von Stammzellen vorstellen. Medizinische Forschung dringt auf den Einsatz beziehungsweise die Erforschung solcher Zellersatztherapien mit Stammzellen, weil sie damit eine Chance sieht, heute unheilbare Krankheiten zumindest durch die Gabe von Ersatzzellen beherrschen zu können. Die möglichen Ziele der Stammzelltherapie werden optimistisch eingeschätzt - bis hin zur "Züchtung" ganzer Organe, die dann in den menschlichen Körper implantiert werden können.
Das Problem ist, dass sich die Hoffnung besonders auf solche Stammzellen konzentriert, die aus Embryonen gewonnen werden. Erzeugung von Embryonen zu Zwecken außerhalb einer künstlichen Befruchtung ist aber in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten. So denkt man über den Import von Stammzellen aus Ländern nach, die ein solches Verbot nicht kennen (die Gesetzgebung in England wurde kürzlich in diesem Sinne erweitert). Im Blick ist auch die Möglichkeit, überzählige Embryonen zu verwenden, die bei einer künstlichen Befruchtung "im Reagenzglas" (In-vitro-Fertilisation) entstehen, wenn einem unfruchtbaren Paar auf diese Weise geholfen wird, ein Kind zu bekommen. Die dabei auch in Deutschland entstehenden überzähligen Embryonen werden gewöhnlicher Weise einfach vernichtet.
Für viele Forscher wäre aber die wissenschaftlich bessere und moralisch vertretbarere Alternative, wenn in Deutschland das Embryonenschutzgesetz verändert und auch in diesem Land Embryonen zu den angegebenen Forschungszwecken hergestellt werden dürften. Damit würde die Doppelmoral vermieden, anderen die problematische Erzeugung der Embryonen und die Stammzellgewinnung zu überlassen, selbst aber so gewonnene Stammzellen nutzen zu wollen. Auch würde ökonomisch der Standort Deutschland für die kommenden Biotechnologien interessant.
Das Problem der Immunschranke lässt dabei die Überlegungen zur Technik der Zellersatztherapie noch weiter gehen. Stammzellen aus fremden Embryonen würde der Körper, dem sie in der Stammzelltherapie eingefügt werden, als Fremdkörper unter Umständen abstoßen. Man denkt deshalb über eine Form des Klonens menschlicher Embryonen nach, die die bei der Einbringung von Stammzellen möglichen Abwehrreaktionen umgehen soll. Dieses "therapeutische Klonen" geht davon aus, dass gewonnene Stammzellen aus Embryonen, die mit dem Empfänger genetisch identisch sind, keiner Immunreaktion ausgesetzt wären. So müsste die Klonmethode, die etwa zur Erzeugung des Schafes Dolly geführt hat, auch am Menschen ausprobiert und so weit entwic-kelt werden, dass zuverlässig überlebensfähige Embryonen entstehen. Diese könnte man bis zum 14. Tag ihrer Entwicklung als Stammzellspender nutzen. Das heißt also, man würde den Menschen, der durch die Stammzelltherapie geheilt werden soll, klonen. Der so entstehende Embryo soll weitergezüchtet werden, bis er für eine Stammzellspende geeignet ist. Diese Stammzellen könnten dem Patienten eingesetzt werden, ohne dass der Körper mit Immunabwehr reagiert. Um zu verhindern, dass solches Klonen eines Menschen zu Experimenten bis zur Geburt eines geklonten Menschen fortgetrieben wird, möchte man die Erlaubnis für das therapeutische Klonen bis auf den 14. Tag der Entwicklung des Klons beschränken. Dabei setzt man die Einnistung eines Embryos in die Gebärmutter im Prozess einer Schwangerschaft als entscheidende Grenze an.
Die Stammzelltherapie scheint so ein Paradebeispiel für die Notwendigkeit eines gestuften Lebensschutzmodells darzustellen. Bei der Präimplantationsdiagnostik, einer vorgeburtlichen Untersuchung bei künstlicher Befruchtung, werden Embryonen künstlich gezeugt und bei einer genetischen Krankheitsdisposition vernichtet. Eigentlich ist es "nur" die Angst vor der Geburt eines behinderten Kindes, die zu einem solchen paradoxen Umgang mit dem Gut früher menschlicher Keime führt. Bei der Frage nach der Stammzelltherapie liegt eine eindeutigere medizinische Notsituation vor. Die Gewinnung von embryonalen Stammzellen - die Embryonen werden anschließend vernichtet - ist für viele Mediziner durch die Aussichten auf echte Alternativen in der Hilflosigkeit gegenüber vielen schweren Krankheitsbildern zu verantworten.
Hier würde eine Abwägung zwischen der Vernichtung menschlichen Lebens in frühes-ten Stadien und dem Nutzen für eine anders nicht mögliche medizinische Behandlung an lebenden Menschen den Erfolg solchen Handelns höher bewerten müssen. Die Verschwendung der Natur im Umgang mit frühen menschlichen Keimen und das Gebot, Menschen mit schweren gesundheitlichen Leiden zu heilen, lässt das Argument eines absoluten Tötungsverbotes, das auch auf frühes embryonales Leben ausgedehnt wird, als abstrakt und tabuartig erscheinen. Unermüdlich weisen Naturwissenschaftler darauf hin, dass es eben nicht darum geht, aus beliebigen, vielleicht luxuriösen Anliegen heraus menschliches Leben in frühen Stadien zu nutzen, sondern es geht um ernste therapeutische Ziele, die schweres Leid von lebenden Menschen zur Bewältigung im Blick haben. Hier von Kannibalismus oder anderen Unmenschlichkeiten zu reden, erscheint zynisch.
Dennoch ist der Gedanke, dass hier menschliches Leben in zugegebener Weise sehr frühen Stadien für medizinische Ziele verzweckt wird, nicht ohne ethischen Belang.
Teil 2 mit der moraltheologischen Bewertung erscheint in der nächsten Ausgabe.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.02.2001