Mit Leib und Seele fasten
Fastenzeit mit der hl. Hildegard (II)
Wer schon einmal gefastet hat, weiß, daß man in dieser Zeit gerne die Seele "baumeln lassen" will: Spazieren gehen, schöpferisches Tun, einfach mal "Da#Sein". Die vielen Fastenanleitungen unserer Tage raten dies auch dringend an. Sie empfehlen vor allem Yoga und Meditation, um das "Innere" zu seinem Recht kommen zu lassen. Man muß dazu gar nicht besonders "fromm" sein. Dem Fastenden drängt sich wie von selber eine wichtige Erkenntnis auf: Der Mensch ist mehr als nur "Materie", er ist noch etwas "ganz anderes". Wir nennen es "Seele" und "Geist"
Mußte die heilige Hildegard sich zu ihrer Zeit gegen übertriebene Leibfeindlichkeit wenden, so neigt unsere Zeit eher dazu, das Seelische viel zu gering zu achten. Die Seele sei nur noch eine "Funktion" des Leibes, abhängig von "biochemischen Reaktionen", vergänglich wie der Leib selber. Hier kann uns die Heilige wertvolle Einsichten in die wahren Zusammenhänge vermitteln
Hildegard vergleicht die Seele mit dem treusorgenden Hausvater für den Leib. Sie sieht in der Seele das belebende Feuer. Es vermittelt dem Leib die eigentliche Lebenskraft, die "Grünkraft". In ihrer Weltsicht nimmt diese "grüne Lebenskraft" eine zentrale Stellung ein. Überall wirkt sie. (Bekanntlich baut sich das "höhere" Leben auf den "grünen Pflanzen" auf!) Selbst in den Kristallen schwingt noch die "Grünkraft" und ordnet ihre Muster. So wird die Seele zu einem wichtigen Bindeglied zwischen dem einzelnen Menschen und dem Gesamt des Kosmos. Sie bildet die Brücke vom "Himmlischen" zum "Irdischen"
Die Seele kann aber in dieser Welt überhaupt erst durch den Leib wirken. Er ist der eigentliche (und einzige) Ort ihrer Lust und Freude. Dazu gehören sämtliche Lebensvollzüge, "gewöhnliche" wie "vornehme". (Bekannt ist Hildegards Wertschätzung der Geschlechtlichkeit.) Ist der Leib krank und "finster" so "verdüstert" sich auch die Seele. Sie leidet mit dem Leib. Den "Leib pflegen" bedeutet daher "Seelenpflege". Das betrifft den ganzen "Lebensstil": Essen, Trinken, Schlafen, Arbeiten und Ruhen. Dazu hat Hildegard in ihrer "Küche" und "Medizin" wertvolle Anregungen gegeben
Das Fasten ist im Rahmen dieser "Leib#Pflege" eine besonders "eingreifende" "Maßnahme": Es kann am besten und wirksamsten den verschlackten Körper reinigen. Durch den "gereinigten" Leib kann nun die Seele wieder klar und unmittelbar wirken. Daher kommt es, daß die Sinneswahrnehmungen und Gefühle viel intensiver werden
Auch die heilende Wirkung des Fastens beruht darauf. Die "Grünkraft" kann wieder ungehindert fließen. Wir nennen es heute den "inneren Arzt". Die Freude, die den Fastenden mehr und mehr erfüllt, kommt von der Seele (von "ganz tief innen"), die im geputzen Haus wieder "ihres Amtes" walten kann. "Wo Seele und Leib in rechter Übereinstimmung miteinander leben, da erreichen sie in einmütiger Freude den höchsten Lohn", schreibt Hildegard. "Die Seele unterstützt das Fleisch, wie auch das Fleisch die Seele. Wird doch durch die Seele und das Fleisch ein jedes Werk ausgeführt." Ich wünsche denen, die fasten, eine Zeit, in der die Seele "baumeln" kann und wieder zu "ihrem Recht" kommt
Pfarrer Franz Scharfenberg
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.03.1998