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Service

Zwei Pfarrgemeinderäte zur gesellschaftlichen Situation

Dokumentation

Unter dem Thema "Christliche Verantwortung" haben die Pfarrgemeinderäte der Erfurter St. Nicolai-Schotten-Gemeinde und der Partnergemeinde St. Martinus in Hattersheim ein Thesenpapier entworfen, das der Tag des Herrn als Anregung zur Diskussion leicht gekürzt vorstellt:

1. Stellung des arbeitenden Menschen:

Staat und Gesellschaft müssen Voraussetzungen und Anstöße schaffen, daß sich Arbeitnehmer mehr am Kapital der Betriebe beteiligen können. Der Mißbrauch von Fördergeldern und Subventionen muß stärker verfolgt werden. Dazu müssen Strafmechanismen geschaffen werden, sowie eine umfassende Kontrolle der zu fördernden Einrichtungen

Arbeitswillige, die eine minderbezahlte beziehungsweise weniger qualifizierte Arbeit annehmen, sollen in Folge vorrangig vermittelt werden, um eine Arbeit entsprechend ihrer Qualifikation zu bekommen. Sollten sie bei dieser Tätigkeit wieder arbeitslos werden ist das Arbeitslosengeld entsprechend ihrer ersten Arbeitslosigkeit zu zahlen

Eine Begrenzung der Überstunden muß geschaffen werden mit entsprechenden Regularien (Kappung beziehungsweise Festschreibung der maximalen Überstunden)..

Die 610 / 520-Mark#Jobs sind abzuschaffen oder nur einem begrenzten Personenkreis zu bewilligen (etwa Studenten). Dadurch können flexible Teilzeitarbeitsplätze entstehen

2. Die Eigentumsordnung in der Gesellschaft:

Laut Grundgesetz ist dem Eigentum... eine Eigentumsverpflichtung zuzuordnen. Es drängt sich der Eindruck auf, daß im wirtschaftlichen Raum eine Übermacht auf Seiten des Geldes steht. Um dem Arbeitslosenproblem nachhaltig zu begegnen, erwarten wir, daß Maßnahmen ergriffen werden, damit Geld nicht länger Geld produziert, sondern Arbeitsplätze. Künftig sollte nicht nur die Arbeitsleistung besteuert werden, sondern vermehrt das Kapital

Für eine Zukunft in Solidarität, Frieden und Gerechtigkeit ist ein Ausgleich zwischen Arm und Reich erforderlich. Die Besitzstandswahrung muß in Frage gestellt werden, wenn die Vermehrung des persönlichen Eigentums vor Gemeinnutz geht. Solidarität setzt Gerechtigkeit voraus, dies gilt insbesondere für Steuergerechtigkeit

Das Sozialpapier der Kirchen ist... ein wichtiges Dokument, um die Lösung der sozialen Fragen... weltweit voranzubringen. Die Aufgaben der Kirche werden... wegweisend beschrieben. Wir erwarten und hoffen, daß die Kirche ihren besonderen Verpflichtungen... gerecht wird und diese umsetzt

3. Der Sozialstaat:

3. 1. "Die Randbedingungen haben sich geändert"

Die Randbedingungen, unter denen unser Sozialstaat konzipiert wurde, sind heute zumindest teilweise nicht mehr gültig:

These 1: In unserem Sozialversicherungssystem hat sich einerseits das Verhältnis zwischen Leistungsempfängern und Leistungserbringern zu Lasten der Beitragszahler verschoben. Andererseits hat die lange Wohl-standsperiode seit dem 2. Weltkrieg die Ersparnisse... stark anwachsen lassen; Teile der Bevölkerung verfügen über entsprechende Mittel, um zu ihrem Unterhalt im Alter beizutragen. Konsequenz: Die eigene Altersvorsorge ist zu fördern, zu garantieren und gesellschaftlich anzuerkennen

These 2: Die Sozialversicherungen werden immer stärker zur Finanzierung von versicherungsfremden Leistungen herangezogen und belasten damit einseitig die Arbeitseinkommen. Konsequenz: Die versicherungsfremden Leistungen sind von allen gesellschaftlichen Gruppen solidarisch zu tragen und... aus Steuermitteln zu finanzieren

These 3: Kinder zu bekommen und groß zu ziehen ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Diese - für die Zukunft unserer Gesellschaft entscheidende -Dienstleistung ist mit immer höheren Aufwendungen verbunden (Stichworte: steigende Ausbildungskosten..., Versorgung von arbeitslosen Kindern). Diese Lasten der Zukunftssicherung sind... ungleich verteilt und werden durch Transferleistungen (Kindergeld) nur unzureichend ausgeglichen. Konsequenz: Die Kindererziehung muß durch Transferleistungen des Staates so gestellt werden, daß die Kindererziehung durch die Gesellschaft finanziert wird

These 4: Immer größere Anteile der geschaffenen Werte kommen den Eignern des Kapitals zu. Aufgrund seiner hohen internationalen Mobilität kann sich dieses Kapital immer leichter nationalen Besteuerungssystemen entziehen. Es wird vom Fiskus entsprechend begünstigt. Konsequenz: Das Steueraufkommen ist im Sinne des Grundgesetzgebots der Sozialverpflichtung des Eigentums umzugestalten. Das heißt konkret: Die Altersvorsorge und der Kapitaleinsatz zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen ist zu schonen und andere Kapitalerträge sind verstärkt zu belasten

3.2. "Wirtschaftlicher Umgang mit öffentlichen Geldern schafft neue Spielräume"

These: Handlungsspielräume zu erhalten beziehungsweise neu zu schaffen wird in Zeiten knapper werdender Kassen zur Herausforderung werden. Ein kreativer Umgang mit Steuermitteln ist gefragt. Konsequenz:

° Das Denken und Handeln in Jahresbudgets ist durch ein flexibleres Finanzmanagement mit mehrjährigem Planungsansatz und der Möglichkeit zur Rücklagenbildung zu ersetzen

° Investitionen sind nach einem ganzheitlichen Ansatz zu planen und zu steuern, der den gesamten Lebenslauf#Kosten der Investition berücksichtigt

° Die Medien sind aufgerufen, Fehlleistungen des staatlichen Finanzmanagements nachhaltig und publikumswirksam darzustellen

3.3. "Werteerziehung und formaler Regelungsbedarf stehen in einem Zusammenhang"

These: Ein Wertekonsenz ist im Prinzip dem formalen, regelnden Eingriff des Staates überlegen. Werte geben Leitbilder, die in der konkreten Situation zum richtigen, wertkonformen Handeln führen. Je schwächer diese "Selbststeuerungsfähigkeit" in der Gesellschaft ausgeprägt ist, desto mehr muß der Staat den Konsens durch regelnde beziehungsweise ausgleichende Eingriffe ersetzen

Konsequenz: Die Werteerziehung ist ein wichtiger Beitrag, auch um das Problem des Mißbrauchs von Arbeitslosen# und Sozialhilfegeldern zu mindern. Menschliche Unvollkommenheit und Ungleichgewichte in der Gesellschaft machen ergänzende staatliche Eingriffe unverzichtbar. ... Staatliche Regulative (werden) vor allem in folgenden Bereichen erforderlich sein:

° Gestaltung sozialer Vorsorge für diejenigen, die dies aus eigener Kraft nicht bewältigen können oder wollen

° Schaffung von Leistungsanreizen beziehungsweise Sanktionen gegen Leistungsverweigerung

° Aufrechterhaltung eines Netzes von Tröstung und Barmherzigkeit für diejenigen, die unverschuldet in Not kommen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 11 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.03.1998

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